ein Blick aus Richtung kritischer Gesellschaftstheorie
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35911/1.html
Schon die Äußerungsweisen der Gewalt sind vielgestaltig und vielschichtig. Zu ihnen gehören ja nicht nur die individuellen, unmittelbaren Aggressionsformen, wie die schon angesprochenen Amok-Handlungen, die Gewalt unter Jugendlichen, die keine Hemmschwellen mehr zu kennen scheinen, sondern auch strukturelle Gewalt. Beispielsweise in Gestalt arbeitsplatzvernichtenden Rationalisierungsstrategien. Wenn aufgrund solcher Maßnahmen die Aktienkurse steigen, werden die verantwortlichen Manager großzügig belohnt, während die Betroffenen aus der Bahn geworfen werden und ihnen psychisches Leid zufügt wird. Angesichts der Massenhaftigkeit solcher Formen struktureller Gewalt, ist man fast versucht zu sagen, es sei von nebensächlicher Bedeutung, wenn ein durch seine trostlose Lebenslage zermürbter Jugendlicher, in einem Akt zielloser Aggression einen Passanten krankenhausreif prügelt.
Diese Zusammenhänge werden in Medien und Politik, aber auch in der Wissenschaft geflissentlich verdrängt. In den massenmedialen Distributionssphären macht zum Beispiel gerade das Buch "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit" des Professoren Steven Pinker die Runde, der den ganzen Komplex struktureller Gewalt weitgehend ausblendet, um das 20. Jahrhundert einem dankbaren bürgerlichen Publikum als Hort relativer Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit verkaufen zu können. ...
Explizit muss er auch noch die Phase der "Friedfertigkeit" auf die Jahrzehnte nach 1950 begrenzen und dabei solche Kleinigkeiten wie etwa dem Vietnamkrieg und die Dutzenden weiteren Interventionen der imperialistischen Hauptmacht in den Nachkriegsjahrzehnten weitgehend unberücksichtigt lassen. In seiner "Gewaltbilanz" taucht übrigens auch nicht auf, dass in Folge des amerikanischen Wirtschaftsembargos in den 1990er Jahren rund 500.000 irakische Kinder gestorben sind.
Selbstverständlich ist es für Professor Pinker bestenfalls nur eine Randerscheinung, dass die strukturelle Gewalt eines global hegemonialen Kapitalismus sich in der systematischen Unterentwicklung ganzer Regionen ausdrückt: Ein System des Hungers, der Unterernährung und ungesunder Lebensverhältnisse verschlingt Jahr für Jahr fast so viele Menschenleben wie der gesamte 2. Weltkrieg! Jean Ziegler hat das folgendermaßen ausgedrückt: Für die Menschen einer sogenannten 3. Welt, ist der Dritte Weltkrieg im vollen Gange. Das "Imperium der Schande" watet in Blut und Elend - und Professor Pinker intoniert das Lied einer fröhlich-friedlichen Welt! - Dabei ist angesichts des globalen und sich ausbreitenden Elends von besonderer Bedeutung, dass die intellektuellen und technischen Möglichkeiten im Übermaß vorhanden sind, um allen Menschen ein auskömmliches und würdiges Leben zu sichern.
das vollständige Interview ist bedeutend ausführlicher und auch thematisch ausgeweitet