Schlecker-Insolvenz

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Traitor
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Fr 20. Jan 2012, 22:42 - Beitrag #1

Schlecker-Insolvenz

Nachdem die Wirtschaftskrise letztlich weitgehend unbemerkt an den meisten publikumsrelevanten Firmen vorbeigegangen ist, hat es heute tatsächlich mal wieder einen richtig bekannten Konzern erwischt: die Drogeriekette Schlecker. Abzusehen war das nach den längst durch die Medien gehenden Gerüchten und offensichtlichen Verschleppungstaktiken (Filialenschließungen mit Warenumverteilung auf die verbleibenden, um weniger nachbestellen zu müssen) schon recht gut.

Einerseits hatte Schlecker zuletzt einen miserablen Ruf und so wird die Öffentlichkeit ihnen wohl kaum hinterhertrauern. Andererseits wird der Drogerie-Markt damit wohl zum Duopol von DM und Rossmann - was gibt's sonst noch? Ihr Platz? lokalen Kram? - was sicher kein sehr gesunder Zustand ist. Jedoch haben sich gerade die beiden Marktgrößen sehr weit Richtung Allgemeinhandel entwickelt, während gleichzeitig Discounter und Supermärkte vollständige Drogeriesortimente haben, also dürfte sich wohl eher die Branche an sich auflösen.

Interessant dürfte die Geschichte aber noch wirtschaftsgeographisch sein - für mich als Stadtmensch war Schlecker beispielsweise seit Jahren quasi tot, ein paar verramschte Filialen habe ich vielleicht nochmal aus der Straßenbahn heraus in Vororten gesehen, aber nennenswerte Präsenz hatten die schon lange nicht mehr. Auf dem Land dagegen sollen sie mit ihren kleineren Filialen wohl noch verbreitet und wichtig sein. In einem Kaff, wo ich alternativ hätte promovieren können, soll Schlecker z.B. der einzige relevante Laden überhaupt gewesen sein...

Ipsissimus
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Fr 20. Jan 2012, 23:06 - Beitrag #2

in Saarbrücken gibt es mehrere, gut besuchte Schlecker-Läden, allerdings gelten die mittlerweile allesamt als Prekariats-Läden - in den feineren Gegenden gibt es nur DM. Rossmann hat im Saarland noch nie eine Rolle gespielt, und Ihr Platz wurde schon vor langem von Schlecker verdrängt. Allerdings hat es mal ne Zeit gegeben, vielleicht vor ungefähr 20 Jahren, nach der Verdrängung von Ihr Platz, da waren die Schlecker-Läden die einzigen vernünftigen Drogerieläden im Saarland.

Der Untergang Schleckers begann vor ungefähr 15 Jahren mit dem Aufstieg von DM, sofern man bei einem Jahresumsatz von nach wie vor über 5 Milliarden Euro von Untergang sprechen kann. Da bei europaweit etwa 10000 Filialen somit jede Filiale, betrieben von zwei, maximal drei Personen, im Mittel einen Jahresumsatz von über 500000 Euro erwirtschaften muss, die Flilialen also nicht wirklich schlecht dastehen, sieht das für mich eher wie eine weitere strategische Neuverteilung und Gesundstoßung aus. Auf Kosten des Personals, versteht sich.

Traitor
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Fr 20. Jan 2012, 23:18 - Beitrag #3

Im Rheinland war dm bis vor ein paar Jahren noch selten, aber vorhanden, Rossmann vollkommen unbekannt.

Stimmt, der Auslandsmarkt ist natürlich noch ein wichtiger Faktor.
Irgendwo habe ich gelesen, dass viele Landfilialen nur auf 30.000€/Jahr kommen sollen, das kann natürlich nicht rentabel sein. Zum Gesamtumsatz dürften auch andere Konzernsparten ("Versandhandel per Onlineshop und Katalog, Bau- und Möbelmärkte sowie Tankstellen", dewp) einiges beitragen, die 500k/Filiale sind also sicher zu optimistisch. Ob da wirklich interne oder externe Investoren noch an einer Neuausrichtung interessiert sind, oder nicht eine Zerschlagung mit Teilverkauf an die Wettbewerber profitabler ist?

Ipsissimus
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Fr 20. Jan 2012, 23:49 - Beitrag #4

na ja, Gesamt-Schlecker macht derzeit immer noch über 5 Mrd. Euro Jahresumsatz, soooo schlecht kann es also um den Konzern nicht bestellt sein, selbst wenn einige Filialen deutlich unter dem Durchschnitt bleiben. Auch ist der Konzern keine Aktiengesellschaft. Von daher verstehe ich diese Insolvenz nicht, wenn ich sie mir nicht als strategische Optimierungsmaßnahme erklären kann.

Traitor
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Sa 21. Jan 2012, 01:50 - Beitrag #5

So, wie ich die Berichte verstehe, ist das tatsächlich eine ganz klassische Insolvenz im Sinne des Wortes - sie sind nicht mehr flüssig genug, ihre aktuellen Kosten zu begleichen. Das würde zumindest zu den Sortimentsumverteilungsmanövern passen. Und wenn die natürlich weiterhin vorhandenen und riesigen Sachwerte des Unternehmens nicht kurzfristig genug in Bargeld umgewandelt werden und unrentable Filialen nicht schnell genug abgestoßen werden können, dann heißt das halt Insolvenz.
An deren Ende kann natürlich eine Sanierung und/oder Umstrukturierung stehen. Kurzfristig notwendig scheint sie aber zu sein. Und ob der Wille zur Rettung da ist, ist eben die Frage.

Maglor
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So 22. Jan 2012, 00:39 - Beitrag #6

Vor Monaten sah irgendwo was über Preisvergleiche zwischen Rossmann, Schlecker usw. Im Schnitt war Schlecker meistens teurer als andere Drogerien. Die Redakteure zogen die Erwägung in Betracht, Schlecker habe billige Preise gar nicht mehr nötig, da das Geschäft an sich schon billig genug wirkte.
Ich kenne ländliche Schlecker-Filialen. Es sind schon merkwürdige Geschäfte. Man betritt den Laden und niemand ist da und man stellt sich an der unbemannten Kasse an und wartet, was passiert. Schließlich ruft jemand aus dem hintersten Winkel, man solle zur anderen Kasse gehen.
Vor Monaten nahm ich mir ja vor die Kette wegen ihrer unmenschlichen Personal-Politik zu boykottieren. Was habe ich nur getan? :crazy:
Zitat von Ipsissimus:Auch ist der Konzern keine Aktiengesellschaft.

Als Einzelkaufmann haftet Herr Schlecker auch mit dem Privatvermögen.

Ipsissimus
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So 22. Jan 2012, 12:58 - Beitrag #7

Rossmann hat mittlerweile im wesentlichen Desinteresse an einer Übernahme bekundet

http://www.stern.de/wirtschaft/news/insolvente-drogerie-kette-rossmann-hat-kaum-interesse-an-schlecker-filialen-1776508.html

Traitor
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Mo 23. Jan 2012, 23:45 - Beitrag #8

Ist ja interessant, "Ihr Platz" gehört nach einer Insolvenz 2005 auch schon zu Schlecker selbst...

Rossmann oder DM wären schön dumm, Schlecker komplett zu übernehmen. Höchstens würden sie sich bei einer Abwicklung die besten Stücke raussuchen.

Interessant auch:
Zitat von SpOn:Der Berliner Insolvenzrechtler Torsten Martini verweist auf Neuregelungen im Insolvenzrecht, die am 1. März in Kraft treten und Schlecker erheblich bessere Bedingungen für eine Insolvenz verschafft hätten.
Das spricht sehr gegen eine taktische Insolvenz, wenn auch die Hintergründe der Verdi-Tarifverträge eher dafür sprechen.

Inzwischen ist mir hier übrigens doch noch ein Schlecker in der Innenstadt eingefallen. Allerdings im definitiv schlechtesten Viertel davon. Während es allein in 100m Umkreis des Bahnhofes 3 Rossmänner und 2 DMs gibt...

janw
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Di 24. Jan 2012, 01:45 - Beitrag #9

Eines der Probleme von Schlecker ist, daß ein größerer Teil von Filialen an Standorten liegt, die grundsätzlich wenig Kaufkraft versprechen, wie auch von Traitor eingangs bemerkt, z.B. in kleineren Orten mit max. 5000 Einwohnern oder in städtischen Ungunstlagen.

Das macht letztlich auf ein Problem des marktwirtschaftlich organisierten Einzelhandelswesens generell aufmerksam, das sich schleichend abzeichnet, daß nämlich immer größere Regionen gerade im ländlichen Raum jeden Einzelhandel verlieren. In meiner Stadt hier ist ein ganzer Stadtteil mit 7000 Einwohnern, der zudem nicht besonders gut angebunden ist, seit einer Weile ohne Lebensmittelladen, ohne Aussicht auf Besserung...

Ipsissimus
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Di 24. Jan 2012, 11:34 - Beitrag #10

in Zeiten, in denen jede Familie im Durchschnitt über 2 bis 3 Autos verfügt, sollte das eigentlich auch kein Problem sein, abgesehen davon, dass so viele Autos natürlich ein Problem sind^^ lokales Flair wird auf diese Weise natürlich wirksam unterbunden

Lykurg
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Di 24. Jan 2012, 14:25 - Beitrag #11

Das gilt dann aber natürlich nur für diesen Durchschnitt und die Personen, die hinreichend mobil sind. Wer kein Auto hat oder etwa altersbedingt nicht fahren kann, wird damit u.U. von fremder Hilfe abhängig oder zum Umzug gezwungen...

Ich sah eine Gegenüberstellung von Umsatz und Filialzahl von Rossmann, dm und Schlecker, die schon ziemlich eindrucksvoll war. Bei der vierfachen Filialenzahl ein kaum höherer Umsatz... dazu dann die teils hämischen oder verwunderten Nachrufe auf ein unübersichtliches und schlecht zusammengestelltes Angebot. Habe selbst selten dort eingekauft, die lokal vorherrschende Kette ist Budnikowsky, mit einem im Norden recht flächendeckenden Netz, dafür gibt es hier vergleichsweise wenige dm-Märkte (ist in den letzten Jahren aber spürbar mehr geworden).

janw
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Di 24. Jan 2012, 14:38 - Beitrag #12

Ipsi, die Ent-Einzelhandelung trifft gerade Orte und Stadtteile mit einem erhöhten Anteil an Leuten, die aus Alters- oder materiellen Gründen kein Auto haben, die übliche demographische Entmischung.

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Di 24. Jan 2012, 23:23 - Beitrag #13

In kleineren Ortschaften gibt es Hausierer, die ältere Herrschaften mit Neutralseife und anderen Wundermittel versorgen und freihaus gegen Barzahlung liefern. Ich war selbst mal in dem Bereich tätig.

Niemand braucht Drogerien. Die Angebote richten sich zumeist an ein anderes Klientel. Es geht nicht um den Gebrauchswert der Waren, es geht um den Einkauf an sich. Es geht den Kunden darum für 1 oder 2 € irgendwas zu kaufen - egal was, Duftkerzen, Kosmetika, Schokoriegel = alles Tand!
Schlecker bot kein attraktives Einkaufserlaubnis sondern nur eine Art undekorierte Rumpelkammer mit unbesetzter Kasse.

Ipsissimus
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Mi 25. Jan 2012, 13:15 - Beitrag #14

o je, wann habe ich das letzte Mal Hausierer gesehen? Das ist 40 Jahre her, mindestens^^ ganz frühe Kindheitserinnerungen^^ ich glaube nicht, dass es diesen Berufsstand heute noch gibt; auch dürften mittlerweile die Leute insgesamt zu misstrauisch sein. Gelegentlich sehe ich noch fahrende Verkäufer durch die Straßen ziehen, aber die bieten fast nur Backwaren und ein paar weitere Lebensmittel an, für Drogerien ist mir das unbekannt.

Lykurg
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Mi 25. Jan 2012, 13:28 - Beitrag #15

Scherenschleifer kommen hier vorbei, außerdem ein Gärtner, der Mist anbietet, außerdem natürlich Zeitschriftendrücker, Zirkusangehörige und Postkartenverkäufer. Aber ja, Nahrungsmittellieferdienste natürlich mehrere, das dürfte auch auf dem Land eine Option bleiben, ist aber im Zweifel eingeschränkter und teurer als ein Laden, und eben normalerweise kein Drogist, es sei denn in Wolgograd (vgl. Anaeyons Video Bild).

Ipsissimus
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Mi 25. Jan 2012, 13:56 - Beitrag #16

Scherenschleifer kenne ich seit langem auch nur noch im Kontext von irgendwelchen Märkten; durch die Straßen zogen die bei uns noch nie. Gärtner sind hier als Hausierer genauso unüblich. Aber andere Orte, andere Sitten^^ Dass so ein Angebot eingeschränkter ist, ist noch kein Problem, solange das Benötigte im Angebot vorhanden ist. Und beim Preis muss man halt die Bequemlichkeit gegenrechnen.

Traitor
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Do 26. Jan 2012, 20:44 - Beitrag #17

Zwischen Hausierern und Lebensmittellieferanten ist doch ein meilenweiter Unterschied - erstere drängen sich ungefragt auf, letztere bestellt man mit konkreter Einkaufsliste zu sich. Das dürfte sowohl auf dem Land als auch bei alternder oder berufsgestresster Stadtbevölkerung auch noch ein ganz großer Zukunftsmarkt werden.

Zurück zu den Drogerien: "Budnikowski", faszinierend. -owskis kannte ich eigentlich nur aus Berlin und Ruhrgebiet, nicht aus Hamburg, und die Kette an sich auch noch gar nicht.

Und zu Schlecker selbst: Ob die mangelnde Qualität des Einkaufserlebnisses so entscheidend war, bezweifle ich etwas, wenn ein Großteil der Kundschaft aufgrund der (vermutlich berechtigten) schlechten Presse gar nicht mehr in den Laden ging, um diese überhaupt zu beurteilen.

Traitor
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Di 27. Mär 2012, 19:16 - Beitrag #18

Die Filialschließungen scheinen ja entgegen den ersten Erwartungen nicht primär das arme platte Land getroffen zu haben, sondern recht homogen der Gesamtfilialverteilung zu folgen - sicher auch einige auf dem Land, aber der Großteil in den Großstädten. Hier eine von der Tagesschau hübsch aufbereitete Karte.

Und das Rettungskonzept für die verbleibenden Filialen scheint auf eine moderne Umgestaltung zu setzen, die man als an dm angelehnt interpretieren könnte, aber mich am ehesten an Flughafenläden erinnert.

Ob das reicht, bleibt fraglich - Ipsis These von der Pseudoinsolvenz als Restrukturierungstrick würde ich als inzwischen ziemlich gut widerlegt ansehen, es scheint auch nach der ersten großen Schließungswelle noch um die blanke Existenz zu gehen.

Ipsissimus
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Do 29. Mär 2012, 12:30 - Beitrag #19

na ja, nicht für die Familie^^ freies Geld ist zwar noch besser, aber 70000 Euro im Monat hört sich auch nicht schlecht an^^

aber natürlich, das woran ich dabei eigentlich dachte, darf als widerlegt gelten^^

Traitor
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Do 29. Mär 2012, 13:49 - Beitrag #20

Also bitte, 70.000€ für 4 (oder mehr?) Leute ist doch wohl knapp an der Armutsgrenze! Wie soll sich denn da ein standesgemäßer Lebenswandel finanzieren lassen...?

Gibt es eigentlich eine offizielle Begründung für die Zweiklassenlogik, dass bei Großinsolvenzen regelmäßig über Staatshilfen und Transfergesellschafen diskutiert wird, während Entlassene kleinerer Firmen im ganz normalen Arbeitslosigkeitssystem landen? Dass bei einer plötzlichen Schwemme einer Vielzahl gleich qualifizierter Arbeitssuchender die Standard-Weitervermittlung nahezu aussichtslos ist? Oder purer Opportunismus?

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