Smartphone-Eltern

Das Forum für allgemeine Diskussionen! Alle Themen, die nicht in andere Bereiche passen, können hier diskutiert werden.
blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
So 29. Jan 2012, 12:32 - Beitrag #1

Smartphone-Eltern

Ich behaupte, dass typische Eltern, die ein Smartphone besitzen, weniger Freude an ihren Kindern haben. An sich ist das eine sehr offensichtliche Feststellung, trivial in all ihren Facetten, aber immerhin muss man es für jene formulieren, die in ihrem Leben kaum etwas besseres zu tun haben, als sich über die Innovationen der Gesellschaft lustig zu machen.

Das ganze erinnert an einschlägige Zeitungen, die aus Platz- oder anderen Gründen Gewisses nicht lobpreisen, etwa den Hegemannroman, und die dann, falls sich ein Skandal auftut, protzen können, dass sie ja nicht gelobt haben und nun in voller Häme und voller Härte abrechnen. Letztens fielen mir auch Artikel über Lästereien und Lobpreisungen über Fondue in die Hände, man stelle sich das vor, ein Artikel, der über das neue Gourmetbürgertum lästert, das die deutsche Küche verschmäht.

Um all das geht es natürlich nicht. Ich war am Samstag im Ikea, Auftragskauf, vielleicht gibt es dazu noch ein eigenes Thema. Jedenfalls war neben dem Eingang ein sehr kluger Mann mit kleinen Elektrofahrzeugen, ihr wisst schon, die, wo man sein Kind für Unsummen drauf setzt und es ein paar Minuten sinnlos durch die Gegend fahren kann.

Kurzum, beim Essen, Köttbullar, auch hier ließe sich noch vortrefflich lästern, hatte ich, zugegeben unfreiwillig, Sicht auf den Autokorso. Da standen dann tatsächlich Mütter, die ihr Smartphone rausholten und das Kind filmten, wie es langweilig ein U und anschließend ein S fuhr.

Ist ja jetzt nichts neues, dass man sein Kind auch mal filmt, früher, da war das natürlich schon was besonderes, aber da war die Super-8-Kamera auch noch auf der Höhe und sie passte mitnichten in die Jackentasche, sogar die riesigen Taschen einschlägiger Baggypants sind zu klein.

Ich halte ja wenig davon. Klar, man hat's dann auf dem Smartphone wie das Kindlein seine paar Kurven fährt, aber das Video selbst ist dermaßen schlecht, dass man es auch nur archiviert und eigentlich nie jemanden zeigt. Oder man stellt es ins Netz, mit eingeschränktem Zugriff, und die Verwandtschaft oder Freunde können in fast Echtzeiten die tollen Kurven bewundern.

Kein Problem, natürlich nicht. Aber man sieht seine Kinder dann ja auch nur auf dem Display seines Smartphones, nicht nur später, sondern auch schon beim aufnehmen, oder man guckt man kurz zum Winken dran vorbei. Klingt gut, das vermittelt Dynamik und reizt mehr Eltern an, sich für solche Gelegenheiten ein Smartphone zu kaufen - oder falls das Geld nicht reicht, eine billige Handkamera. Der negative Aspekt für unsere Gesellschaft ist dabei aber ganz klar, dass die Erinnerung und Wahrnehmung durch Speicher und Plastiklinsen ersetzt wird. Ich sehe schon die kindesdemente Generation, die sich später ihre Kindervideos anschaut und nichts mehr nachvollziehen kann.

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
So 29. Jan 2012, 13:12 - Beitrag #2

Vom Titel her hätte ich eher erwartet, dass die Beschwerde in Richtung von Eltern, die die ganze Zeit auf ihrem Telephon googlen, mailen und chatten und den eigentlich zu beaufsichtigenden Kindern nur gelegentlich zunicken, zielt. Das könnte ich mir durchaus als halbwegs relevantes Problem vorstellen.

Die Filmerei halte ich eher für einen vorübergehenden Hype und nicht weiter schädlich, vor allem, weil es mit den auch von dir schon erwähnten Analog-Heimkameras den gleichen Trend schonmal gab, und er weitgehend folgenlos vorübergegangen ist. Wenn ich das aus Medien, Filmen und deutlich seltener Gesprächen richtig ableite, war das Dauerfilmen des Nachwuchses in Amerika und vielleicht abgeschwächt auch hierzulande so ein paar Jahre vor unserer Generation mal so richtig Mode.
Der größte Unterschied ist dann halt, dass die damaligen Aufnahmen großenteils nur zum Verstauben gemacht wurden, während heutige wahlweise sofort oder auch in vielen Jahren sehr einfach wiederabspielbar sind. Die Gefahr, von den Eltern mit peinlichen Aufnahmen verdrängter Frühgeschichte blamiert zu werden, ist also deutlich größer.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
So 29. Jan 2012, 13:33 - Beitrag #3

Es besteht auch die Gefahr, dass die Aufnahmen von gehässigen, missgünstigen Personen einer breiteren Öffentlichkeit zugängig gemacht werden, wie beispielsweise im Fall von David after Dentist oder dem angry German kid.

Ich denke, dass die Filmerei eher Symptom als Ursache ist: Kindern beim sinnlosen Autofahren zuzuschauen kann beim gesunden Erwachsenen nach etwa 30 Sekunden nichts anderes als Langeweile auslösen, der Anblick des eigen Fleisch und Blut reicht nicht aus, genügend Glückshormone oder auch nur hinreichene mentale Stimuli zu erzeugen, ergo greift man auf das neue elektronische Spielzeug zurück, um den Moment wenigstens halbwegs erträglich zu machen. Die Kamera, nicht das Kind liegt im Fokus, was man den allermeisten dieser selbstgedrehten Videos auch ansieht.

blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
So 29. Jan 2012, 15:01 - Beitrag #4

Zitat von e-noon:Ich denke, dass die Filmerei eher Symptom als Ursache ist: Kindern beim sinnlosen Autofahren zuzuschauen kann beim gesunden Erwachsenen nach etwa 30 Sekunden nichts anderes als Langeweile auslösen, der Anblick des eigen Fleisch und Blut reicht nicht aus, genügend Glückshormone oder auch nur hinreichene mentale Stimuli zu erzeugen, ergo greift man auf das neue elektronische Spielzeug zurück, um den Moment wenigstens halbwegs erträglich zu machen. Die Kamera, nicht das Kind liegt im Fokus, was man den allermeisten dieser selbstgedrehten Videos auch ansieht.


Empfinde ich als eine sehr gelungene Deutung, die weit über die Smartphonekameraproblematik hinaus geht. Der Unterschied zur Super-8-Generation, die Traitor ja noch näher beleuchtet, ist wohl der, dass das Kind auch kaum in das Video einbezogen wird. Ich denke da gerade an die Videos, wo auch das Kind aufgefordert wird, mit der Kamera zu interagieren.

Das bleibt hier aber völlig außen vor. Um also meinen Eingangssastz dieses Beitrages aufzugreifen: Die Kamera dient als Kompensation, keinen Anteil am eigenen Kind zu haben und sich zu gleich nicht selbst beschäftigen zu können.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
So 29. Jan 2012, 15:37 - Beitrag #5

mir kommt es so vor, als sei das eine Spielart des umfassenderen Problems, dass Kinder zunehmend an Haushaltsgeräte delegiert werden, vor einiger Zeit war das noch der Fernseher, heute der PC und zunehmend Kommunikationsgeräte. Erspart den eigenen Umgang, rettet die eigene Zeit, und wenn es schiefgeht ist zwischendurch immer mal ´ne Stunde drin, um das Kind zum Therapeuten zu fahren.

Das Smartphone transportiert sich halt noch nicht selbst und hält sich nicht von selbst in Position, daher muss man notgedrungen selbst noch Hand anlegen^^

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
So 29. Jan 2012, 21:08 - Beitrag #6

Grundsätzlich ein Unbehagen gegenüber diesen technischen Spielzeugen hegend, könnte ich mir dennoch vorstellen, daß es sich nur um eine Erweiterung der bisherigen Dokumentationspraxis per Photoapparat handelt, war einer zur Hand, wurden von derartigen Kinderbelustigungen auch oft ein oder zwei Bilder geschossen.
Mein Problem in dieser Hinsicht ist dann jenes, das ich allgemein mit der Digitalisierung habe, daß die Digitalisate dann nämlich nur noch mit entsprechenden Geräten zugänglich sind. Da lob ich mir mein Photoalbum mit richtigen Photos, die Negative in einer Tasche archiviert.

Nicht zu vergessen die Bilder und Bindungen, die nur durch Interaktion entstehen, und die wird durch die Linse ausgeschaltet.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
So 29. Jan 2012, 21:24 - Beitrag #7

Derartige Eltern verlinken auch Ultraschallbilder auf Facebook. :crazy:
Zum digitalen Zeitalter: Im Internet wird nur Negatives dauerhaft archiviert.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
So 29. Jan 2012, 21:44 - Beitrag #8

Zitat von Maglor:Zum digitalen Zeitalter: Im Internet wird nur Negatives dauerhaft archiviert.

Unsere Zeiten werden dereinst furchtbar erscheinen...


Zurück zu Diskussion

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast