Hirntod und Organtransplantation

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Ipsissimus
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Sa 3. Mär 2012, 21:08 - Beitrag #1

Hirntod und Organtransplantation

es gibt offenbar Hinweise, dass nach der Feststellung des Hirntods das betreffende Gehirn weiterhin am Leben ist.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), eine private Stiftung, die in Deutschland die Verteilung koordiniert und für mehr Organspenden wirbt, stellt dazu lapidar fest: "Das Gehirn ist übergeordnetes Steuerorgan aller elementaren Lebensvorgänge. Mit seinem Tod ist auch der Mensch in seiner Ganzheit gestorben."

Für den Kardiologen Paolo Bavastro aus Stuttgart ist die Sache hingegen nicht so einfach und bereits der Begriff Hirntod eine "arglistige Täuschung". Vielmehr handele es sich bei "Menschen im Hirnversagen um schwerstkranke, sterbende Menschen, aber noch keine Toten", wie er mehrmals dargelegt hat. Daraus folgt: "Sonst könnten wir auch keine lebensfähigen Organe aus einem toten Menschen entnehmen. Wir brauchen lebendige Organe aus einem noch lebenden Organismus." Der Fall des "Erlanger Babys" 1992 zeigte zudem, dass der Fetus im Bauch einer hirntoten Schwangeren fünf Wochen weiter wuchs.
...
Im Dezember 2008 stellte die "President's Commission on Bioethics" der USA fest, dass angesichts neuer Forschungsergebnisse nicht sicher gesagt werden könne, dass ein Hirntoter tatsächlich tot sei. Sein Gehirn könne noch die Temperatur regulieren, auf Infektionen reagieren - etwa mit Fieber - oder mit dem Hormon ADH die Urinausscheidung regulieren. Mit feinen Messinstrumenten aufgenommene Muster des "hirntoten" Gehirns deuteten gar darauf hin, dass es auf Schmerz reagiert.
...
Ob bald nach dem Hirntod der Tod des Menschen eintritt, wie die Bioethik-Kommission der USA vermutet, lässt sich nicht prüfen. Diese Annahme sei vielmehr eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, wie Sabine Müller, Leiterin der Arbeitsgruppe Neurophilosophie, Neuroethik und Medizinethik an der Berliner Charité bemerkt hat: "Patienten mit der Diagnose Hirntod werden entweder Organspender oder ihre künstliche Beatmung wird abgestellt."

http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/todeszeitpunkt-und-organspende-wie-tot-sind-hirntote-1.1299076

janw
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Sa 3. Mär 2012, 23:08 - Beitrag #2

Nun ja, da geht einiges durcheinander.
Das Gehirn ist zum einen die allen anderen Stellen übergeordnete Steuerungseinheit des Organismus. Das Gehirn ist aber nicht eine quasi monolithische Einheit, sondern besteht aus verschiedenen Einheiten, deren Zusammenwirken für die Funktion des Organismus erforderlich ist; fallen einzelne Einheiten aus, fallen entsprechende Funktionen weg.
Nun nimmt das Großhirn im menschlichen Gehirn den größten Raum ein und wird dadurch auch von Schädigungen am wahrscheinlichsten getroffen, ist aber zugleich auch eher wenig an wichtigen lebenserhaltenden Funktionen beteiligt.
Fällt es aus, hat mensch kein Bewusstsein, kann mensch nicht mehr sehen und hören, Reize von Geschmack und Geruch werden noch teilweise vom limbischen System als Wertungen verarbeitet, Schmerzreize können noch vom Zwischenhirn verarbeitet werden, außerdem ist hier das Rückenmark eingebunden.
Atmung, Herzschlag, Temperatursteuerung, Ausscheidung funktionieren auch noch, aber mensch würde sterben, weil es nicht mehr trinken und essen kann.

Ist das Kleinhirn geschädigt, fällt die Atemsteuerung aus. Die kann aber durch Beatmung ersetzt werden, so daß andere Funktionen des Großhirns weiter erfüllt werden können.
Sie hängen dann aber davon ab, daß eine Beatmung erfolgt.

In jedem Falle sind bei derartig schweren Schädigungen praktisch keine Hirnstromaktivitäten mehr zu messen, und dieser Zustand ist irreversibel.
Von daher trifft die Charakterisierung als sterbender Mensch, sterben als letztlich unaufhaltsamer Vorgang verstanden, der apparativ nur mehr oder weniger lange verzögert werden kann, die Sache IMHO recht gut, wobei die Frage des unaufhaltsam Sterbens natürlich im Einzelfall zu entscheiden ist, hier gilt es von Wachkoma und Locked-In-Syndrom abzugrenzen, die derzeit zum immer noch Therapierbaren zählen.

Diese Grenze ist auch entscheidend für die Frage, ob eine Organentnahme zulässig ist - ein Spenderorgan muss durchgehend mit Sauerstoff versorgt werden, deshalb muss eine Beatmung erfolgen, wenn das Gehirn diese nicht mehr steuert, aber wenn das Gehirn in seinen Teilen so weit irreversibel beschädigt ist, daß auch mit Beatmung so viele Funktionen dauerhaft ausgefallen sind, daß der Organismus praktisch ins Leere läuft, ist es eben Sterben auf Raten.

Ipsissimus
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Sa 3. Mär 2012, 23:57 - Beitrag #3

hmm, das würde aber eher für die Lesart sprechen, wonach der Hirntod eine willkürliche Grenze ist, ab der das Gesetz erlaubt, einem zumindest noch teilweise lebendigen Menschen Organe zu entnehmen. Und das riecht verdammt nach Kommerz.

janw
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So 4. Mär 2012, 00:45 - Beitrag #4

Wie genau, entlang welcher Kriterien und Grenzwerte, die Unterscheidung zwischen nur noch durch Apparate aufgehaltenem Sterben und dem Leben zugerechneten Zuständen wie Wachkoma, Locked-in-Syndrom und ähnlichem getroffen wird, weiß ich leider nicht genau - sollte aber zu ergründen sein.
In jedem Falle ist es die Grenze, aufgrund der regelmäßig entschieden wird, die Beatmung abzubrechen.
Wenn dieser Zustand festgestellt ist, wird geprüft, ob einer Abschaltung z.B. eine Organspendebereitschaft entgegen steht. Dann wird durch einen weiteren Arzt unabhängig vom ersten noch einmal der Zustand diagnostiziert, und erst bzw. nur, wenn dieser zu dem selben Ergebnis kommt, kann eine Organentnahme erfolgen.

Die Feststellung des hirntodbedingten Sterbezustandes erfolgt strukturell unabhängig von Organentnahme-Interessen.
Zudem werden in Europa Organe nicht gehandelt, sondern durch Eurotransplant an die jeweils passendsten Patienten auf der jeweiligen Warteliste vermittelt. Für usa weiß ich es nicht. Im Rest der Welt ist sicher alles möglich.

Ipsissimus
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So 4. Mär 2012, 00:57 - Beitrag #5

wenn das, was in dem Bericht behauptet wird, dass ein hirntotes Gehirn noch auf Schmerzen reagiert, dann ist das für meinen Geschmack noch auf der Seite des Lebens. Und dann würden im Prinzip noch lebenden UND noch empfindenden Personen Organe entnommen.

Was überall auf der Welt möglich ist, geht bei genügend Geldeinsatz auch in Europa. Zur Not fährt man in die Ukraine^^

janw
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So 4. Mär 2012, 01:52 - Beitrag #6

Das Zitat bezüglich des hirntoten Gehirns, das auf Schmerz reagiere, zeigt genau das Problem, das mit der Gemeinaussage verbunden ist: Weil das Gehirn aus mehreren Teilen besteht, auch das Großhirn keine funktional einheitliche Masse darstellt, gibt es nicht "das hirntote Gehirn", sondern einzelne Fälle, die einzeln zu betrachten sind.
Schmerzreize werden zum einen im Rückenmark verarbeitet, zum anderen im Thalamus (Bewertung) und in einem Areal des Großhirns, wo der Schmerzort in einer Art Karte des Körpers lokalisiert wird. Das bedeutet nicht, daß das Gehirn etwas fühle, da werden nur Nervenimpulse hin und hergeschickt, fühlen tun wir, wenn es uns zu Bewusstsein gelangt.
Wenn nun dieses Lokalisierungsareal noch funktioniert, muss noch lange kein Bewusstsein vorhanden sein und auch nicht in therapeutischer Recihweite sein, es können nämlich jede Menge anderer lebenswichtiger Areale irreversibel geschädigt sein, so daß das Leben eben doch absehbar zuende geht.
Im übrigen gibt man heute bei Organentnahmen eine Anästhesie, schon um Zuckungen und etwaige Ausschüttungen von Stresshormonen zu verhindern, die nicht so erwünscht sind.

Ein Problem mit der Ukraine ist, daß man sich im Zweifel jede Menge unerwünschte Begleiter einfängt wie Hepatitis- und AIDS-Erreger.
Und letztlich ist es bei Organübertragungen so, daß die Organe zum einen wirklich sehr schnell übertragen werden müssen, man kann sie nicht wirklich konservieren (Augenhornhäute mal ausgenommen), und sie müssen wirklich sehr gut zum Betreffenden passen. Ich denke nicht, daß man das anderswo so bekommt. Bei den Organraub-Fällen aus Indien wird nie berichtet, wie lange die Organe denn beim Patienten halten, und da dürfte es, denke ich, eher trist aussehen.

Ipsissimus
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So 4. Mär 2012, 02:12 - Beitrag #7

Ich weiß nicht, kommt dir das nicht merkwürdig vor? Man entwickelt die Möglichkeit zur Organtransplantation und schwubbs, findet sich eine bis dahin völlig abwegige Definition von Tod, bei der die Körper nach Belieben intakt bleiben können. Das war so unglaublich praktisch. Man musste, nein, man durfte jetzt nicht mehr warten, dass der Körper verfault, es war geradezu ein ethischer Imperativ, den Körper am Leben zu erhalten, obwohl das Gehirn tot war. Oder sagen wir, obwohl einige Bereiche, wesentliche Bereiche, toter waren als andere, die sich zum Beispiel mit so unwichtigen Dingen wie Aufrechterhaltung der Homöostase beschäftigen.

Ja, kann sein, Verschwörungstheorie. Meine Organe bekommt niemand mit meinem Willen.

e-noon
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So 4. Mär 2012, 11:10 - Beitrag #8

Das erschreckende ist, das niemand genau weiß, was Tod ist. Man sieht manchmal, wozu einige Tiere, hier insbesondere Hähne, in der Lage sind, denen der größte Teil des Kopfes fehlt oder ähnliches. Auch ist bekannt, dass im Gehirn ein anderer Teil Funktionen übernimmt, wenn die ursprünglich zuständigen Areale beschädigt sind. Solange man also nicht bei einer Explosion stirbt, ist es meist so, dass große Teile des Körpers noch am Leben bzw. lebensfähig sind, ohne dass die Person als Ganzes reanimierbar wäre.

Was du bezüglich der Geschichte der Organtransplantation vermutest, halte ich aber doch für falsch. Es ist nicht so, als wäre nach Entdeckung der Organtransplantation die Definition des Todes vorgezogen worden, bei der am schnellsten eine Entnahme erfolgen könnte; im Gegenteil. Seit Menschengedenken war der Tod eines Menschen an Herzstillstand und Atemstillstand gebunden; hier haben sich oft grobe Fehler ergeben, weil beide Methoden reversibel waren. Man erinnert sich an Schauergeschichten von lebend Begrabenen...
Irgendwann kam dann die Erkenntnis auf, dass auch ein Herztoter noch nicht irreversibel tot war. Man machte erste erfolgreiche Versuche, Herztote wiederzubeleben und durch Beatmung und Herzmassage die Organe des Patienten dahin zu bringen, dass sie ihre Tätigkeit selbstständig wieder aufnehmen können. Zudem machte man die Entdeckung, dass auch nach der Feststellung des Todes nach traditionellen Methoden noch Gehirntätigkeit vorhanden war. In dem Moment verschob sich die Definition des Todes nach hinten. Wer nun (jung) starb, bei dem wurde noch der Versuch gemacht, ihn wiederzubeleben; später wurde es sogar möglich, seinen Körper lange Zeit künstlich am Leben zu erhalten, der ohne Einmischung in wenigen Minuten gestorben und verfallen wäre.

Die Frage ist, ob das Bewusstsein unmittelbar an die uns bekannten Hirnfunktionen geknüpft ist; ich denke, ja. Somit ist nach Verfall dieser Hirnfunktionen kein Bewusstsein mehr möglich. Ich kann mir schwer vorstellen, dass beispielsweise das Rückenmark Bewusstseinsfunktionen übernimmt. Wenn allerdings noch Reste von Bewusstsein vorhanden wären, würde man das wohl feststellen können und man wäre als Komapatient eingestuft, nicht als Toter.

Selbst wenn ich bei Bewusstsein wäre, würde ich vermutlich einen schnellen Tod einer im Extremfall mehrjährigen Bettlagerung ohne jede Ablenkung, ohne irgendeinen Kontakt zur Außenwelt oder Kontrolle über den eigenen Körper vorziehen; aber das ist nur mein persönlicher Geschmack. Es mag sein, dass der Körper mit intensiver maschineller Unterstützung noch lebensfähig wäre; aber ich identifiziere mich nicht so sehr mit meinem Körper, dass er mir nach irreversiblem Ausfall meiner Gedanken, Gefühle und meines Bewusstseins noch wichtig wäre.

Ipsissimus
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So 4. Mär 2012, 13:33 - Beitrag #9

das niemand genau weiß, was Tod ist
na ja, das ist vielleicht metaphysisch erschreckend. Im Kontext der Diskussion ist es m.E. aber nicht wirklich notwendig, Tod zu definieren. Wir benötigen vielmehr ein sicheres, eineindeutiges Todeskriterium. Wenn der Körper anfängt zu verwesen, haben wir ein sicheres Todeskriterium; falls ich diese Diskussion über partiell lebende Gehirne richtig verstehe, scheint das beinahe schon das einzige sichere Todeskriterium zu sein. Bin ich wirklich der einzige hier, der mit der Hirntod-Konstruktion dem Kommerz Tür und Tor geöffnet sieht? Und selbst wenn es in Europa ein Verteilungssystem gibt, Jan, du wirst mir doch nicht erzählen wollen, dass in Europa mit Organen nicht ganz legal Geld verdient wird?

Anaeyon
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So 4. Mär 2012, 13:49 - Beitrag #10

Ich habe mal irgendwo das Gerücht gelesen, dass es in China Hinrichtungs-Quoten gibt, um den Organbedarf zu decken. Sowas würde ich vielleicht (u.a.) als Kommerz bezeichnen.

Aber jemanden als lebendig zu bezeichnen nur weil er in etwa das kann, was auch eine Zimmerpflanze schafft? Und da auch gleich noch kommerzielle Interessen zu wittern? Das geht mir ein wenig zu weit. Wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, wird hier der irreversible Hirntot beschrieben. Und wenn das Hirn irreversibel nicht mehr funktionieren wird, dann ist für mich die Persönlichkeit tot, auch wenn der Haufen Fleisch und Knochen vielleicht noch seinen Dienst tut.
Und auch wenn das nun eine äußerst undurchdachte Frage sein mag: Bei sieben, bald neun Milliarden Menschen auf diesem Planet, müssen wir es da echt als ethisch bezeichnen, krampfhaft jeden am Leben zu halten, solange da auch nur eine noch so realitätsferne Definition von "Leben" greift?

Wo liegt denn der Wert im schmerzempfindenden, geistlosen Körper, der vor sich hinvegetiert, keinen Nutzen für uns hat, den wir nur am Leben erhalten weil es uns emotional schwer fällt, loszulassen oder weil wir uns fürchten, wir könnten unethisch handeln?

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So 4. Mär 2012, 14:00 - Beitrag #11

Nur weil die Organe noch leben, heißt das nicht das der Mensch noch lebt. Wir sind mehr als nur funktionierender Stoffwechsel und laufende Atmung.

Im Endeffekt ist die sache hier, soweit ich die Argumente sehe, auch keine wissenschaftliche frage sondern irgendwie die umgekehrte Form der Abtreibungsdebatte?

Wann beginnt das Menschliche Leben? Wenn sich Ei und Spermie vereinen, wenn der Fötus anfängt Nervenzellen zu bilden oder bei Geburt
Wann endet das Menschliche Leben? Wenn das Hirn tot ist, wenn das Herz nichtmehr schlägt, wenn die Leichenstarre einsetzt?

Ich persönlich bin der ansicht das Leute im Hirntod nur "schwer krank" anstatt "weg" sind skeptisch gegenüber (Der Computer mag noch funktionieren, aber die Daten sind weg...) und ich fände es geradezu unmenschlich die Organspenden einzustellen weil "es könnte ja, unter umständen, vielleicht, möglicherweise sein das die noch nicht ganz tot sind!"


Ipsissimus, du hörst dich schon etwas Verschwörungstheoretisch an...

*behält seinen Organspendeausweis in der Geldbörse* Ultimativ entscheidet keine Komission, kein Arzt, kein sonstwer darüber ob deinem Körper organe entnommen werden (In Deutschland jedenfalls).
Das entscheidest du oder deine nächsten Verwandten im (hoffentlich) einklang mit deinen Wünsche.

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So 4. Mär 2012, 14:27 - Beitrag #12

Ultimativ entscheidet keine Komission, kein Arzt, kein sonstwer darüber ob deinem Körper organe entnommen werden (In Deutschland jedenfalls).
Theoretisch ist das so. Wenn ich mir die neue Änderung der Richtlinien anschaue, wonach ich mich zukünftig permanent fragen lassen muss, ob ich im Falle meines Todes Organe spenden will, könnte ich allerdings schon auf die Idee kommen, dass an meiner Freiwilligkeit nur formal was gelegen ist. In anderen Kontexten gilt Nötigung jedenfalls als Vergehen.

Verschwörungstheorie mag sein. Obwohl ich bzgl. Organspenden eher der Meinung bin, dass wir in Europa schon längst einen - zumindest offiziell proklamierten - Gesellschaftskonsens darüber haben, demnach gemacht werden darf, was gemacht werden kann und Geld bringt. Diese kleine Lästigkeit von wegen Freiwilligkeit wird bald auch kein Problem mehr sein. Heute gilt es noch als Ablehnung, keine Aussage zur Spendenwilligkeit zu machen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis dies so ausgelegt werden wird, dass es den Betreffenden gleichgültig ist, und von da zur mutmaßlichen, auf jeden Fall formal korrekt festgestellten Zustimmung - infolge Unterlassung des Widerspruchs, mithin Beweislastumkehr - ist es nur noch ein kleiner Schritt. Selbst wenn sich eines Tages zeigen sollte, dass es eine Rückkehr vom Hirntod zu bewusstem, eigenverantwortlichem Leben gibt, dürfte das weder am Konsens noch an der Praxis irgendwas ändern.

Was ich dabei wirklich bedauere, das wirst du intellektuell sicher erfassen, aber mutmaßlich nicht auf dich wirken lassen können. Es ist der zunehmende Verlust einer Demut, die sich darüber im Klaren ist, dass es Leben nur zusammen mit Tod gibt, die damit einverstanden ist und die deswegen darauf verzichtet, alles zu tun, was getan werden kann, um das Leben zu verlängern. Organtransplantationen haben etwas mit menschlicher Unreife zu tun.

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So 4. Mär 2012, 14:38 - Beitrag #13

Organtransplantationen haben etwas mit menschlicher Unreife zu tun.


Wir sollten Glühbirnen verbieten, der Mensch hat dann zu schlafen wenn es draußen Dunkel wird?

Ipsissimus
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So 4. Mär 2012, 15:01 - Beitrag #14

Demut ist eine sehr persönliche Sache. Sie kann nicht verordnet werden.

Anaeyon
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So 4. Mär 2012, 15:09 - Beitrag #15

Ich meine damit doch, dass diese Demut auch die Erfindung der Glühbirne verhindert hätte. Ich schließe aus deiner Wortwahl, dass es für dich Übermut wäre, die natürlichen Grenzen herauszufordern. Dass es quasi zwingend negative Auswirkungen auf uns haben muss, wenn wir den Tod nicht in dem Moment akzeptieren, in dem er zum ersten mal an die Tür klopft.

Wenn ich deine Antwort vor dem Edit richtig verstehe, meinst du einerseits, dass die Entnahme von Organen eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit eines je nach Definition Toten, aber zumindest eines auf die Funktionsweise von Zimmerpflanzen reduzierten Körpers darstellt. Andererseits verlangst du, dass wir - noch halbwegs intakt und mit der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen - unseren Tod akzeptieren obwohl wir leben könnten?

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So 4. Mär 2012, 15:53 - Beitrag #16

ich denke, dass Glühbirnen recht wenig mit heiklen ethischen Entscheidungen im Grenzbereich zwischen Leben und Tod zu tun haben. Ich würde mir einfach nur wünschen, dass sich Menschen weniger damit beschäftigen würden, den Gedanken an ihre eigene Sterblichkeit mit der Möglichkeit technischer Maßnahmen klein zu reden - und zu diesem Zwecke die technischen Maßnahmen bis in die Bösartigkeit zu forcieren - sondern sich damit beschäftigen, sich mit ihrer Endlichkeit einverstanden zu zeigen. Sie sterben so oder so, nur einmal in einer offenen, noch im Sterben dem Leben zugewandten Weise, oder in einer kleinmütigen, ängstlichen, verschlossenen und den Tod nicht als Teil des Lebens begreifenden Weise. Und diese Demut kann niemandem vorgeschrieben werden.

Was aber offenbar geht, ist, dass man Menschen dahin manipuliert, die Geschäfte anderer Leute mit ihrem eigenen Körper zu ermöglichen. Dagegen wende ich mich. Ich schätze mal, bevor das greift, gäbe es noch sehr viel mehr Möglichkeiten, denen keine ethische Bombe innewohnt.

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So 4. Mär 2012, 16:17 - Beitrag #17

So wie du es darstellst werden Organtransplationen benutzt um dem Tod nochmal von der Schippe zu springen. Und wer das tut ist nicht demütig weil er nicht akzeptiert das er Tod normal am ende des lebens steht?

Verzeihung? Erklär das Bitte mal einem 20 Jährigen der noch kein richtiges Leben hatte weil er mit einer chronischen Niereninsuffizienz geboren wurde und auf ein spenderniere wartet. Der Mann der seine Kinder aufwachsen sehen kann weil er ein neues Herz erhalten hat.

Sorry Ips, aber du bist gesund? Wirst vermutlich kein Transplat brauchen? Von der Position ist es verdammt einfach von der "Demut vorm tod zu sprechen"


Ich würde mir einfach nur wünschen, dass sich Menschen weniger damit beschäftigen würden, den Gedanken an ihre eigene Sterblichkeit mit der Möglichkeit technischer Maßnahmen klein zu reden - und zu diesem Zwecke die technischen Maßnahmen bis in die Bösartigkeit zu forcieren - sondern sich damit beschäftigen, sich mit ihrer Endlichkeit einverstanden zu zeigen.


Wenn wir nicht versuchen würden die eigene Sterblichkeit mit Forschritt zu bekämpfen würden wir heute immernoch in Lehmhütten wohnen und vermuten das eine Frau die bei der Geburt stirbt die Götter angepisst hat.
Den Tod müssen wir akzeptieren. Das Sterben nicht.

Wobei ich dir zustimme das dies bis ins Extrem zu treiben genauso schlecht ist wie die "es könnte missbraucht werden! Wir dürfen das daher nicht tun." haltung.

Vor jahrhunderten war es eine "ethisch heikle" frage ob man Leichen aufschneiden dürfe um aus ihnen zu lernen...nur mal angemerkt.

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So 4. Mär 2012, 16:36 - Beitrag #18

Hier wird nichts bis in die Bösartigkeit forciert. Eine Weigerung, "jetzt" zu sterben ist keine Weigerung, irgendwann zu sterben.

Und ich halte die Aussage "Du musst jetzt sterben weil Demut reifer ist als eine Spenderlunge" für ziemlich unethisch.

Ipsissimus
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So 4. Mär 2012, 17:11 - Beitrag #19

Hier wird nichts bis in die Bösartigkeit forciert. Eine Weigerung, "jetzt" zu sterben ist keine Weigerung, irgendwann zu sterben.
sie ist dann bösartig, wenn diese Verweigerung mit dem Tod eines anderen Menschen rechnet, damit sie sich durchsetzen kann. Und ich sage, glaube ich zumindest, niemandem, dass er sterben muss. Wenn ich richtig lesen kann, habe ich vielmehr mehrmals gesagt, dass man Demut niemandem vorschreiben kann^^

3of4, ich hatte schon meinen Teil an Erkrankungen und Situationen, die haarscharf am Tod vorbei führten, und ich hätte zumindest damals kein Spenderorgan akzeptiert, um weiterzuleben. Außerdem vermute ich, dass du es dir etwas zu idyllisch vorstellst, was ein Spenderorgan mit dem Organismus macht, in den es integriert wird.

Aber vermutlich ist das ein unlösbarer Mentalitätskonflikt, bei dem ich eine völlig veraltete Position beziehe^^ ihr könnt unbesorgt sein, es wird weiter gehen^^

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So 4. Mär 2012, 17:14 - Beitrag #20

Außerdem vermute ich, dass du es dir etwas zu idyllisch vorstellst, was ein Spenderorgan mit dem Organismus macht, in den es integriert wird.

Du meinst wenn das Organ nicht vollständig angenommen wird und man z.b. Immunsuppresiva nehmen muss? Das es nicht idyllisch ist weiß ich, aber es ist besser als die alternative.

Aber vermutlich hast du recht ;) Lets agree to disagree? ^^

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