... weil ich an die grenzenlose Dummheit der Bundesregierung glaube

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Ipsissimus
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Fr 30. Mär 2012, 12:44 - Beitrag #21

hach, ja, Bankbesitzer müsste man sein dieser Tage^^

wer bietet mehr? 1 Billionen, 2 Billionen, 5 Billionen, 10 Billionen ... immer aufgrund von "Hoffnung", oder wie man ungehemmtes Absahnen heute nennt. Wir haben ja auch keinerlei Erfahrung mit dieser Art Hoffnung.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,824779,00.html

aber für 11000 Schleckermitarbeiter ist eine Auffanggesellschaft gesellschaftlich nicht vertretbar. Zusammenhang? Natürlich pfui, ein Schurke, der einen sieht

wie sagt es einer der Kommentatoren so treffend: "Das ist nichts weiter als ein extrem teures Psychospiel... Und die Spieler müssen es nicht bezahlen."

Lykurg
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Fr 30. Mär 2012, 15:58 - Beitrag #22

Der Begriff des "Ständigen Rettungsschirms" ist mir zuwider, weil er erwarten läßt, auch ständig benötigt zu werden. Wie war das mit Hölderlin? "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!" Man kann es auch umgekehrt sehen. Im Deutschlandfunk wurde jedenfalls kommentiert, die Billion wäre sowieso Augenwischerei (was den Märkten auch klar ist), weil dafür auch Italien und Spanien noch stärker eingebunden werden müßten, die dann aber im Ernstfall eh nicht zahlen könnten. Insofern wäre es dann auch wieder gleichgültig (oder eher kontraproduktiv), die Summe weiter zu erhöhen. Verfahrene Situation. Das kommt beim Schuldenmachen raus. Bild

Ipsissimus
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Fr 30. Mär 2012, 16:29 - Beitrag #23

es ist weniger das Schuldenmachen auf reale Werte sondern die Konversion virtueller Gelder in reale Waren, die das Problem ausmacht. Solange die Schulden in einem linearen Verhältnis zu den realen Werten stehen, sind Schulden nicht schlimm. Wenn die Schulden aber exponentiell wachsen - was sie nur im virtuellen Raum können - die Realwirtschaft aber linear, wird auch eine Billiarde Euro nicht ausreichen, sobald die Virtualien in Realien konvertiert werden sollen.

Padreic
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Sa 31. Mär 2012, 18:21 - Beitrag #24

@Ipsi: Ich verstehe deinen Beitrag nicht recht.

Erstens, hat der Großteil der Schulden sehr wenig mit "virtuellen Geldern" zu tun; das meiste Geld geht für ganz reale Sachen wie Sozialleistungen, Soldaten, Lehrer und Infrastruktur drauf. Oder meinst du, dass überhaupt nur die Möglichkeit besteht, so viele Schulden aufzunehmen, so sehr die Ausgaben die Einnahmen überschreiten zu lassen, weil die Gesamtgeldmenge aufgrund von "virtuellem Geld" so aufgebläht ist?
Dagegen würde ich meinen zweiten Punkt anbringen: Alles Geld ist virtuell; ob es auf dem Computer ist oder in meiner Tasche ist höchstens ein gradueller Unterschied. Im Grunde gibt es so etwas wie "reale Werte" nur in sehr beschränktem Maße; Werte liegen sehr weitgehend im Auge des Betrachters und so bald diese Betrachter gerne Geld haben wollen, hat selbst dieses einen "realen Wert". Man mag diesen als nicht ganz so real betrachten, weil er fragil ist; eine Geldentwertung (also eine Meinungsänderung über den Wert des Geldes) kann es entwerten - ein Stück Brot ist aber immer ein Stück Brot. Die Fragilität dürfte aber für viele Dinge gelten (ganz extrem z. B. bei Bildern).

Wenn man den Rettungsschirm als reine Bankenbeglückung sieht, wie du es zu tun scheinst, so impliziert das, dass es für eine Bank kein Recht, sondern eher ein unverdientes Glück ist, wenn sie das Geld, was sie einem Staat leiht, auch zurückbekommt; das sehe ich durchaus anders, insbesondere, weil eine solche Einstellung die Kreditaufnahme von Staaten sehr erschweren dürfte und man gerade in Griechenland sieht, wie chaotisch Zustände werden können, wenn ein Staat auch nur versucht, seine Neuverschuldung zu senken...
Ich muss sagen, dass ich selbst nicht durchblicken kann, welche Folgen das Fehlen eines Rettungsschirms genau hätte; nur, dass natürlich auch ich bei solchen Summen ein recht mulmiges Gefühl bekomme. Dass man nicht erst in diese Situation hätte kommen sollen, ist klar; wie man wieder heil rauskommt, ist immer eine andere Geschichte.

Ipsissimus
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Sa 31. Mär 2012, 23:42 - Beitrag #25

Padreic, die Krisenfonds des Eurorettungschirms werden mit 800 Milliarden Euro ausgestattet, wann die Billion fällt ist derzeit Gegenstand intensiver Wetten, und wer sagt, dass es mit der Billion getan ist. Most importantly: Dieses Geld wird zur Deckung von Wettschulden verwendet - wenn es reales Geld wäre, könnte man es für all die von dir genannten Dinge einsetzen, man könnte Sozialabgaben davon finanzieren, man könnte international eine Menge bewegen, man könnte Staaten zu richtig schnuffigen Orten machen. Dieses Geld ist aber nicht real vorhanden, genau so wenig wie den Wettschulden entspricht ihm kein Waren- oder Arbeitsgegenwert - das würde nämlich seinem Zweck widersprechen, der allein darin besteht, Nerven zu beruhigen, die sich verzockt haben, daraus aber nicht lernen wollen, mit dem Zocken aufzuhören. Dieses Geld ist im Grunde eine Kriegserklärung, eine Drohung, die direkt gegen die Bevölkerungen Europas gerichtet ist - weil es nicht da ist, sein Vorhandensein für den Hysterie-Fall aber garantiert werden muss, muss die gelegentliche Konversion von virtuell nach real eben so erfolgen, dass aus den Bevölkerungen und ihren Staatshaushalten herausgequetscht wird, was sich herausquetschen lässt. Ohne die Garantien für diese Wettschulden könnten unsere HartzIVer locker das Doppelte erhalten, ohne dass es jemandem wehtun würde, und das wäre nur einer von vielen Anwendungsfällen.

Lykurg
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Sa 31. Mär 2012, 23:48 - Beitrag #26

Nein. Dabei handelt es sich um Garantien für längst ausgegebenes Geld, für Schulden der Staaten, die für eben die von dir benannten schnuffigen Wohlfühlprojekte getätigt wurden, aber auch in diversen Taschen verschwunden sind, die in Griechenland offenbar über besonders lange Zeit mit staatlicher Duldung offenstehen konnten. Es handelt sich sehr wohl um real ausgegebenes Geld, Schulden, die beglichen werden müssen, auf deren Rückzahlung die Gläubiger ein Anrecht haben.

Alles andere wäre Enteignung der Anleger, darunter natürlich auch Kleinanleger, die ihre Spargroschen zur Bank gebracht haben, die damit Gewinne gemacht hat, um ihnen auf die Ersparnisse Zinsen zahlen zu können. Zinsen, die notwendig sind, um den Realverlust auszugleichen, den wir durch Inflation ständig erleiden; Inflation, die künstlich verursacht wird, um die Staatsschulden auf Kosten der Bürger zu verringern.

Ich stimme dir allerdings sehr wohl darin zu, daß wir derzeit finanziell mehr Spielraum hätten, wenn die vorige Generation nicht mit vollen Händen das Geld ausgegeben hätte, das ihr nicht zustand. Und darin, daß die Billion nur irgendeine Zahl ist und genausowenig sicher wie 800 Milliarden, wenn es zum Ärgsten kommt. Und daß es sich nicht um die letzte Erhöhung handeln dürfte. Nur daß ich den Sündenfall eben schon im falsch verstandenen Keynesianismus und daraus resultierender hemmungsloser Schuldenpolitik seit den späten 60ern sehe und nicht erst im Umgang mit der Finanzkrise (die im Übrigen ursächlich von der Schuldenkrise unabhängig ist).

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So 1. Apr 2012, 00:30 - Beitrag #27

Doch. Weil auch die früheren Schulden der Staaten im Wesentlichen auf Garantien für frühere Wetten zurückgehen. Soviel haben die Staaten nie ausgegeben, dass für solche Beträge gebürgt werden müsste. Wettschulden oder anderen Hochrisikogeschäften, die nicht den Bürgern zugute kamen.

Lykurg
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So 1. Apr 2012, 02:00 - Beitrag #28

Soviel haben die Staaten nie ausgegeben, dass für solche Beträge gebürgt werden müsste. Wettschulden oder anderen Hochrisikogeschäften, die nicht den Bürgern zugute kamen.
Wie ist das zum Beispiel mit den Kosten für die deutsche Einheit? Derzeit irgendwas zwischen anderthalb und zwei Billionen Euro, davon geschätzt eine halbe Billion für Infrastruktur, Baumaßnahmen und Unternehmen, der Rest Sozialleistungen, insbesondere staatliche Zuschüsse für die Renten- und die Arbeitslosenversicherung.

Und das ist ja nur eine anteilige, aufstockende Zahlung (also nicht vergleichbar mit den vollen Etats), die 'nur' seit zwanzig Jahren läuft und nur ein paar Millionen Europäer betrifft. Darüber hinaus ging es der DDR im Ostblock-Vergleich ja noch ziemlich gut. Verglichen mit Investitionsbedarf in anderen Ex-Warschauer-Pakt-Staaten, aber auch den Mittelmeeranrainerstaaten, dürfte diese Summe nicht übermäßig hoch sein. Da kommt man spielend auf ein Vielfaches der genannten Summe.

Der Bundeshaushalt 2010 lag bei 319,5 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um die Ausgaben eines Mitgliedstaates in einem Jahr. Natürlich wurde ein erheblicher Teil davon durch Steuereinnahmen gedeckt, aber so oder so, das Geld ist jedenfalls ausgegeben worden - übrigens fast die Hälfte davon für Soziales, weitere erhebliche Summen für Verkehr, Gesundheit und Bildung. Man kann sicher darüber streiten, wo hier falsche Präferenzen vorliegen, aber deine Aussage, daß diese Ausgaben nicht dem Bürger zugutekämen, kann ich nicht nachvollziehen.

Wolltest du allerdings damit sagen, daß die Bürger vermutlich besser selbst mit dem Geld umgehen könnten, wenn man die Steuern senkte und das staatliche Eingreifen in die privaten Belange reduzierte, würde ich mich zwar etwas wundern, aber sicher nichts dagegen haben.

Ipsissimus
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So 1. Apr 2012, 11:00 - Beitrag #29

und wie kommt es, dass diese staatlichen Schulden überhaupt keine Rolle für die Systemstabilität spielten, bis zu dem Zeitpunkt als Lehman Brothers krachte? Und weswegen krachte Lehman? Wegen staatlicher Schulden oder doch wegen Verzocke mit Hochrisikowetten?

Lykurg
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So 1. Apr 2012, 12:15 - Beitrag #30

Ja, Lehman Brothers hat sich verspekuliert, allerdings entstand die Immobilienkrise, in der sie untergingen, daraus, daß die US-Banken (unter anderem durch extrem billiges Geld, aber auch direkt) dazu angehalten wurden, Kredite auch dann zu vergeben, wenn die Kreditnehmer keinerlei Sicherheiten aufzuweisen hatten. Die europäische Staatsschuldenkrise ist davon unabhängig und seit Jahrzehnten absehbar, die Banken geraten insofern mit hinein, als sie Geldgeber der betroffenen Staaten sind. Die meisten Staaten haben mehr Kredit als die meisten Banken, weil sie größer sind und mehr Möglichkeiten haben, zu tricksen. Um so schlimmer ist im Ergebnis aber ein Staatsbankrott.

Padreic
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So 1. Apr 2012, 14:16 - Beitrag #31

@Ipsi: Spätestens so bald der Gesamtkredit eines Staates (und ähnlich bei anderen Rechtssubjekten auch) die Menge an Werten übersteigt, die von ihm veräußerbar/pfändbar sind, ähnelt seine Kreditaufnahme einem Schneeballsystem; die Gläubiger können ihr Geld aus ihren Krediten nur dann zurückbekommen, wenn der Staat andere Kredite für die Deckung dieser Kredite aufnimmt. Das kann funktionieren, zumindest eine Weile lang, aber es dürfte klar sein, dass das ein riskanter Prozess ist. So bald das Vertrauen in den Staat und die Bereitschaft zur Kreditvergabe sinkt, bricht dieses System zusammen und der Staat wird zahlungsunfähig. Die Bankenkrise hat auf zwei Weisen etwas damit zu tun: Erstens haben sich viele Staaten sowohl aufgrund von direkten Zahlungen und Bürgschaften gegenüber Banken als auch aufgrund der verbreiteten Wirtschaftskrisen stärker verschuldet, zweitens sind Banken mit Kreditvergabe tendentiell zurückhaltender geworden. Dass unter solchen Bedingungen ein fragiles System zusammenbrechen kann, ist wenig überraschend.

Ähnliches ist übrigens natürlich auch bei der Bankenkrise selbst passiert. Am schlimmsten zusammengebrochen sind die Banken, die ein ähnliches Spiel, nur auf die Spitze getrieben, gespielt haben; die aufgrund ihrer extremen Kredite (mit denen sie sehr hohe Eigenkapitalrenditen erzielen konnten) darauf angewiesen waren sich sozusagen wöchentlich neue Kredite zu holen. Der Beginn der Bankenkrise führte zu einer großen Zurückhaltung der (anderen) Banken gegenüber Kreditvergabe, weshalb genannten Risikobanken keine neuen Kredite bekamen und innerhalb von kürzester Zeit zahlungsunfähig wurden. Das hatte natürlich wieder Auswirkungen auf ihre Gläubiger etc. pp.

Wenn ein Staat ein mehrfaches seiner Jahreseinnahmen an Schulden hat, überrascht es mich eigentlich eher, dass das normalerweise so gut funktioniert, insbesondere, da sich die Schuldenlast im Gegensatz zum normalen privaten Kreditnehmer immer weiter auf- statt abbaut. Wenn jemand im Verhältnis zu seinen Werten und Einnahmen maßlos immer weiter Schulden aufbaut, dürfte im Normalfall der Zusammenbruch dieses Systems nur eine Frage der Zeit sein.

Btw: In der Argentinienkrise wurde tatsächlich eine relativ drastische Finanztransaktionsvolumensbegrenzungsmaßnahme [das Wort musste einfach sein...] durchgeführt: man durfte täglich nicht mehr als 250 Pesos (grob 70 Dollar, vermute ich) von seinem Konto abheben. Das (obwohl natürlich nicht nur das) hatte allerdings schon Generalstreiks zur Folge. Was eine Beschränkung auf fünf Euro auslösen würde, wollte ich gar nicht wissen...

janw
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So 1. Apr 2012, 17:17 - Beitrag #32

In meinen Augen habt Ihr alle recht und auch wieder nicht ganz.

Es stimmt, daß (für Deutschland ab ca. 1975 deutlich, für andere Länder ab wann?) die europäischen Länder verbreitet mehr Geld ausgegeben haben als eingenommen. Ca. 1982 kam ich mal mit einem dann älteren Mann ins Gespräch, der mir das am Beispiel der Pensionsrückstellungen verdeutlichte, die nicht hinreichend sicher abgegrenzt worden waren und nun verfrühstückt wurden. Die 80er Jahre mit dem Mantra von der sicheren Rente, die durch zunehmende Verschiebung von Leistungen zwischen Rentenversicherung, Krankenversicherung und anderen Bereichen letztlich zu Lasten der allgemeinen Haushalte erkauft wurde, anstatt Änderungen vorzunehmen, die heute immer noch auf sich warten lassen - z.B. Hereinnahme von Freiberuflern zu tragbaren Konditionen - und die Behandlung der Massenarbeitslosigkeit mit Frühverrentungen verstärkten das Problem.
Für andere Länder waren jeweils andere Ursachen ausschlaggebend, für Griechenland offenbar eine völlig dysfunktionale Steuerverwaltung und ein überbordender Verteidigungshaushalt.

Dadurch sind Schulden entstanden, denen man sich heute stellen muss.

Das Problem ist aber, daß diese unmittelbaren Schulden nur einen Bruchteil des Gesamtbetrages ausmachen, der überwiegende Teil sind Zinsen, bzw. sogar verzinste Zinsen. Mag man im Zins einen Ausgleich für inflationsbedingte Wertverluste erkennen, sind Zinseszinsen tatsächlich virtuelles Geld, Geld ohne jeden Leistungsbezug. Und sie sind gefährlich, da sie exponentiell wachsen.

In meinen Augen führt kein Weg daran vorbei, diese Zinseszinsbeträge im Zuge von Entschuldungsmaßnahmen zu streichen.
Es handelt sich hierbei auch in meinen Augen um Schulden analog zu Wettschulden, für die nicht gebürgt werden müsste.
Zu hoffen, wie Frau Merkel es tut, Wirtschaftswachstum könnte diese Schulden abbauen helfen, ist in meinen Augen wirklich dumm - wobei allerdings zu konzedieren ist, daß eine effektive Steuererhebung in Griechenland bei entsprechender zeitlicher Rückwirkung - man könnte Steuerschulden ähnlich langfristig verfolgen wie andere Schulden, für Deutschland wären das 30 Jahre - dort sicher erhebliche Beträge einspielen würde.

Mein Problem mit dem Rettungsfond besteht im wesentlichen in zwei Bereichen:
Das Geld, für das hier gebürgt wird, ist daneben, daß es zum guten Teil durch Zinseszinsen refinanziert wird, durch Derivatisierung vervielfacht worden, und diese Derivatisierung ist aufgrund fehlender Umsatzbesteuerung gegenüber allen Transaktionen von Waren und Dienstleistungen hochgradig subventioniert.

Zum anderen beruht die Höhe des Bürgschaftsrahmens nicht auf nachvollziehbar berechneten Beträgen und abgeschätzten Risiken, sondern auf rein gewinnorientierte zeitlich planmäßig plazierten Voten von in keiner Weise unabhängig agierenden Ratingagenturen und anderen Interessenvertretern.
Es läuft in meinen Augen darauf hinaus, daß Europa durch immer höhere Forderungen an seine Grenzen gebracht werden soll, des bürgen könnens, wie insbesondere des die eigentlichen Verpflichtungen der Staaten und des Staatenbundes gegenübee den Menschen erfüllen könnens, Rettungsfonds und Erfüllung der Staatsaufgaben werden gegeneinander ausgespielt.
Dagegen gilt es sich zu verwahren.

Ipsissimus
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Di 3. Apr 2012, 13:25 - Beitrag #33

Padreic, ich hatte das früher in diesem Thread schon geschrieben, daher ein Selbstzitat:
Man könnte anbetend zu Boden sinken ob der souveränen Schlichtheit dieses Tricks, besagten Banken Geld [aus Steuermitteln] zu geringsten Zinssätzen zur Verfügung zu stellen, damit diese privaten Zinskartelle es zu höheren Sätzen an sogenannte souveräne Staaten verleihen können, um genau dadurch deren Souveränität zu verringern.

das von dir angesprochene Schneeballsystem hat etwas mit der von Jan erwähnten Zinseszinsnahme zu tun. Verbiete diese weltweit und du hast nur noch lineare Abhängigkeiten von Schulden und Werten, und die kann jeder Staat stemmen.

Jan, Zinseszinsverbot fordere ich schon seit Jahrzehnten^^

Padreic
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Do 5. Apr 2012, 23:48 - Beitrag #34

Um es als einen Trick zu sehen, fehlt mir sicherlich die Einsicht; ich kann eher sagen, dass ich es nur teilweise verstehe, warum die Zentralbank so viel Geld den Banken zu geringen Zinssätzen leihen kann, aber größere Schwierigkeiten hat, es den Mitgliedsstaaten zu leihen (obwohl sie das, zumindest indirekt, ja auch tut). Ein Grund dürften aber vermutlich die Sicherheiten sein. Die Banken mussten ja einen Großteil des Geldes durch hinterlegte Wertpapiere absichern, etwas, dass beispielsweise Griechenland nicht tun könnte. Als reines Geschenk ist es wohl deshalb nicht zu sehen, was man auch darin sehen kann, dass manche Banken versuchen, die Kredite vorzeitig rückzuabwickeln, um an ihre Wertpapiere wieder dranzukommen.

Zum Zinseszinsverbot: Angenommen, dass es wünschenswert ist, sehe ich Probleme bei der praktischen Umsetzung. Natürlich, man könnte verbieten, in einem laufenden Kredit (/einer laufenden Anleihe) einen Zinseszins zu nehmen. Aber Kredite haben nur eine endliche Laufzeit und nach Ende dieser Laufzeit muss ein Staat (oder wer auch immer) die Gesamtsumme des ausgelaufenen Kredits samt Zinsen wieder als neuen Kredit aufnehmen (oft von jemand anderem). Soll dieser jemand dann verpflichtet werden, den Anteil des Kredits, der nur auf Zinszahlungen basiert, zinslos zur Verfügung zu stellen?

Ipsissimus
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Mo 9. Apr 2012, 09:15 - Beitrag #35

Padreic, ohne je behaupten zu wollen, dass deine erkenntnistheoretischen Grundmaximen unangemessen seien, scheint es mir dennoch evident, dass sie verschieden von den meinen sind. Auf mich wirkt es so, als liegt vielen deiner Darlegungen eine Maxime zugrunde, die ungefähr lautet: "Die betrachteten Zusammenhänge sind in ihrer Detailvielfalt zu komplex als dass ich die Zusammenhänge in letzter Exaktheit verstehe. Ich kann daher nicht ausschließen, dass damit etwas übergeordnetes Gutes (Wünschenswertes, Wohlwollendes, Positives, sehr vielen Menschen zugute Kommendes) verwirklicht werden soll, und solange ich das nicht ausschließen kann, halte ich die Möglichkeit hoch."

Meine Maxime hingegen lautet ungefähr: Gleichgültig wie komplex Zusammenhänge optisch wirken, die sich darin ausdrückenden Wirkprinzipien sind einfach und wenige. Ich muss daher nicht jedes Detail der technischen Implementation verstehen, um erfassen zu können, aus welchen psychischen Haltungen heraus und zu welchen Zwecken Strukturen geschaffen werden.

Und eines dieser einfachen Wirkprinzipien im betrachteten Fall lautet ganz schlicht "cui bono?" Und als Antwort: "Jedenfalls nicht zum Nutzen des größten Teils aller betroffenen Bürger".

Alles andere ist aus meiner Sicht nur Ablenkung vom Wesentlichen.

Padreic
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Di 1. Mai 2012, 20:54 - Beitrag #36

Deine Charakterisierung der erkenntnistheoretischen Grundmaximen ist natürlich überzeichnend, im Prinzip aber treffend.

In vielen Bereichen, in die ich bisher tiefer eingedrungen bin, habe ich festgestellt, dass der offensichtliche Weg zu einem Ziel am Ende etwas ganz anderes als das gewollte bewirken konnte; dass fast nichts einfach ist, sondern dass man fast immer unzählige Nebeneffekte berücksichtigen muss. Auch ein Doppelpendel beruht auf einfachen Wirkprinzipien, jede Vorhersage des Verhaltens fällt aber äußerst schwer. [Ich muss bei so etwas auch immer an eine Passage in 'Im Westen nicht Neues' denken, wo der Protagonist zurück kommt in seine Heimatstadt und die Leute am Stammtisch die verschiedensten Vorschläge machen hört, wo man im Krieg vorstoßen müsste; kommt man aus so einer mangelnden Sachkenntnis heraus nicht dann häufig zu falschen Beurteilungen, wie z. B. auch die Dolchstoßlegende zeigt?]
Das macht auch insbesondere die Frage des 'cui bono' zu einer sehr komplizierten: Ich kann oft nicht beurteilen, wem eine Maßnahme letztlich nutzen wird. Die Politiker mit all ihren Beratern werden häufig einen besseren Eindruck der Lage habe, aber auch sie können zukünftige Entwicklung häufig nicht richtig einschätzen. Wenn ich also den Eindruck habe, dass eine Maßnahme einer Gruppe X hilft, wollte die Politik damit vielleicht stattdessen eigentlich der Gruppe Y helfen; und vielleicht tut sie das sogar.

Ein Beispiel dafür, dass man bloß mit gutem Willen keine gute Politik machen muss, ist für mich Salvador Allende. Ich gestehe ihm zu, dass er beste Absichten hatte, gerade gegenüber den Arbeiter und Armen. Zu was es geführt hat, wissen wir aber. [Man mag einwenden, dass er ja auch die CIA und die Rechte im Land gegen sich hatte; war das aber nicht auch eine Folge seiner Politik? Alle Handlungen haben Nebeneffekte und am Ende kann sich keine für gute Absichten auch nur ein Stück Brot kaufen.]

Eine Grundmaxime, die ich bei dir häufig zu sehen glaube, ist (überspitzt ausgedrückt): Die Mächtigen sind eiskalte Rationalisten, die voller Durchtriebenheit (und Intelligenz) ohne Rücksicht auf das Gros der Bevölkerung ihre Ziele durchsetzen.
Ich glaube, in dieser Krassheit ist das einfach falsch. In vielerlei Beziehung sind die Mächtigen einfach Menschen wie viele andere auch, inklusive aller üblichen Psychologie. Und dazu gehört es auch, dass ihnen das Wohl der Bevölkerung nicht egal ist. Sie mögen manchmal andere Prioritäten haben, manchmal (oft?) eine verzerrte Vorstellung davon haben, was gut für die Leute ist, aber egal ist es ihnen nicht. Und (wie der Titel des Threads schon sagt), sind sie häufiger mal auch nicht im besonderen intelligent.

Aber kommen wir mal zum Thema des Threads zurück: cui bono? Du sagst den Bankern, den Spekulanten, aber nicht dem Gros der Bevölkerung. Warum sollten die Politiker dann so entscheiden? Meine Erfahrung spricht gegen eine direkte Korruption. Sicherlich können irgendwelche persönlichen Kontakte dafür sorgen, dass man den Bankern nicht zu sehr weh tun will. Insgesamt glaube ich aber, dass im großen und ganzen die Politiker hier davon ausgehen, dass sie das beste für ihr Volk tun (insbesondere, da man ihnen kaum populistische Absichten unterstellen kann, so wie die Stimmung häufig hier gegen ihre Beschlüsse ist). Es mag sein, dass sie so lange von den Bankern zugequatscht wurden, bis sie einfach geglaubt haben, was sie ihnen erzählt haben, aber trotzdem.

Wem es am Ende tatsächlich geholfen hat, wird sich erst in einigen Jahren erweisen. Und selbst dann wird es schwierig sein, es zu beurteilen, weil man nicht wüsste, was passiert wäre, hätte man anders agiert.

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Do 3. Mai 2012, 13:10 - Beitrag #37

Ein Beispiel dafür, dass man bloß mit gutem Willen keine gute Politik machen muss, ist für mich Salvador Allende. Ich gestehe ihm zu, dass er beste Absichten hatte, gerade gegenüber den Arbeiter und Armen. Zu was es geführt hat, wissen wir aber. [Man mag einwenden, dass er ja auch die CIA und die Rechte im Land gegen sich hatte; war das aber nicht auch eine Folge seiner Politik? ...]


ich denke, Allende ist nicht über seinen guten Willen gestürzt sondern über die Machenschaften seiner politischen Gegner, die wohl noch nicht - und wie sich zeigen sollte: noch auf viele Jahre hinaus nicht - begriffen hatten, was eine demokratische Mehrheitsentscheidung ist. Klar wollte Allende eine chilenische Form eines moderaten Sozialismus einführen. Verstaatlichung von Bodenschätzen, Enteignung ausländischer Großunternehmen, vieler Banken und eine Agrarreform, bei der über 20000 qm Land von Großgrundbesitzern an eine große Zahl Kleinbauern übergeben wurden - mir kommt das nicht so schlimm vor - wie war das mit dem Neoliberalismus, das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl von Menschen?^^ aber er hatte ein politisches Mandat dafür. Er war in freien und geheimen Wahlen gewählt worden, mit genau diesem Programm. Man schätzt heute, dass die Zahl seiner Gegner, die den Putsch initiierten, sich auf nicht mehr als etwa 5000 Personen, allesamt aus der chilenischen Oberschicht und dem Militär, belief. Allendes entscheidender Fehler war halt, dass er unterschätzt hat, wie weit zu gehen - bis hin zu Mord und zu ihren Freunden bei der CIA - diese Leute bereit sind. Und dass Neoliberalismus in Wirklichkeit eben meint "für mich und die Meinen das höchst mögliche Maß an Privilegien, und für den Rest die Abfälle."

Die Mächtigen sind eiskalte Rationalisten, die voller Durchtriebenheit (und Intelligenz) ohne Rücksicht auf das Gros der Bevölkerung ihre Ziele durchsetzen.


geringfügig anders: Die Mächtigen sind Subjekte der Macht, was bedeutet, dass sie Ausführende der strukturellen Gewalt sind. Strukturelle Gewalt ersetzt in demokratischen Staaten die Unterwerfungsmethoden totalitärer Staaten, ist aber gerade deswegen beinahe noch effektiver als offene Gewalt. Die meisten Menschen möchten eben glauben, dass die Staaten für sie gemacht sind, und nicht sie für die Staaten.

... cui bono? Du sagst den Bankern, den Spekulanten, aber nicht dem Gros der Bevölkerung. Warum sollten die Politiker dann so entscheiden?


Alle mir bekannten sich demokratisch gebenden Staaten und überstaatlichen Organisationen wie die EU dulden im Herzen ihrer Staatsform einen vollständig und ganz und gar demokratiefeindlichen Mechanismus, nämlich Lobbyismus. Lobbyismus bewirkt, dass die Entscheidungen von Politikern zugunsten der Privilegien von Interessengruppen ausfallen und nicht mehr an das Wohl der Gesamtbevölkerung gebunden sind, oder allgemeiner, dass gruppenspezifische (=gruppenegoistische) Partialinteressen als Gemeinwohl deklariert werden.

Neben Lobbyismus bildet die Bürokratie eine demokratiefeindliche Glättungsschicht, indem sie durch Ausführungsbestimmungen für Gesetze verbleibende Restunterschiede von Parteien im Sinne der Maßgaben von struktureller Gewalt nivelliert.

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Do 3. Mai 2012, 21:49 - Beitrag #38

eine Agrarreform, bei der über 20000 qm Land von Großgrundbesitzern an eine große Zahl Kleinbauern übergeben wurden
2 Hektar mißt laut Wikipedia der Innenhof des Pentagon. ;) 20.000 qkm, und darum ging es laut anderen Quellen, wären etwa soviel wie Hessen - wäre natürlich interessant, wie das entschädigt wurde, was für Land es war und nach welchen Mechanismen man es verteilte. Die Enteignungen etwa in Simbabwe (Aufteilung der großen Farmen, die vorher exportwirtschaftliches Rückgrat des Landes waren; Landverteilung zur Belohnung an verdiente Parteigänger Mugabes, viele davon ohne landwirtschaftliche Kenntnisse; seitdem Hungersnöte) wären sicher ein deutliches Negativbeispiel, eindeutig nicht das größtmögliche Glück für möglichst viele. Auch Mugabe ist einmal als Sozialist angetreten. Macht korrumpiert viele, ganz ohne Frage, und viele Interessengruppen wirken daran mit. Daß deren Absichten aber eher eigennützig als dezidiert gesellschaftsfeindlich zu verstehen sind (wenn man das überhaupt so allgemein darstellen kann), ist sicher auch eine Frage des Blickwinkels.

Padreic
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Do 3. Mai 2012, 22:05 - Beitrag #39

Es ging mir gar nicht um eine fehlende demokratische Legitimierung Allendes. Diese war zwar dünn (die Kongressmehrheit war bei den Christdemokraten und auch die breite Mehrheit der Bevölkerung hatte bei den Präsidentschaftswahlen für konservative oder christdemokratische Kandidaten gestimmt), aber vorhanden; ohne ein Kenner der chilenischen Verfassung zu sein, gehe ich deshalb (in dubito pro reo) davon aus, dass sein Handeln rechtsstaatlich legitimiert war.

Worum es mir ging, war, dass politisches Handeln ganz andere Konsequenzen haben kann, als es geplant war. Allende wollte wohl (grob gesprochen) Wohlstand für die Massen. Ist es so gelaufen, wie er es wollte? Eher nicht. Man kann das immer wem anders in die Schuhe schieben (die sicherlich auch einigen Anteil daran hatteN); es bleibt dabei, dass seine Handeln andere Konsequenzen hatte, als er wollte.

Es begann ja auch nicht erst mit dem Putsch. Nach anfänglichen guten Erfolgen sah es bald schon anders aus: große Inflation, Lebensmittel mussten im großen Stil importiert werden, es gab große Streiks. Natürlich litt dabei Chile auch unter Handelsembargos, aber das ist eine Konsequenz von der Enteignung ausländischer Konzerne, die nicht überraschend kommen sollte. Vielleicht hätte sich die Situation wieder normalisiert, wenn Pinochet nicht geputscht hätte, aber man kann nicht sagen, dass die Probleme erst damit begannen. (und auch nicht, dass eine Politik von der breiten Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wurde)

Dass bei einem Putsch, der geheim bleiben muss vor der Ausführung, nur 5000 Leute involviert waren, überrascht mich wenig. Aber mir geht es ja auch gar nicht darum, diesen Putsch oder Pinochet zu rechtfertigen; es geht mir darum, dass es bei einer politischen Handlung überhaupt nicht klar sein muss, wem sie nutzt (selbst wenn die grundlegenden Wirkprinzipien einfach sein mögen).

20000 qm Land von Großgrundbesitzern an eine große Zahl Kleinbauern übergeben
Du meinst vermutlich nicht wirklich nur 2 Hektar. Das müssten schon Kleinstbauern sein, um 2 Hektar auf eine große Anzahl von Leuten aufzuteilen ;).

Die Mächtigen sind Subjekte der Macht, was bedeutet, dass sie Ausführende der strukturellen Gewalt sind.
Auch Gandhi und Konsorten, nur Ausführende von struktureller Gewalt? Wenn ja, dürfte es ein sehr neutraler Gewaltbegriff sein, der ungefähr synonym mit, wie soll ich sagen, Macht ist?

Alle mir bekannten sich demokratisch gebenden Staaten und überstaatlichen Organisationen wie die EU dulden im Herzen ihrer Staatsform einen vollständig und ganz und gar demokratiefeindlichen Mechanismus, nämlich Lobbyismus.
Lobbyismus kann nicht der direkte Grund sein. OK, Interessengruppen reden mit Politikern, um ihre Interessen durchzusetzen, von Industrievertretern bis Naturschützern. Aber die Frage bleibt: warum machen die Politiker das, was ihnen erzählt wird?

Neben Lobbyismus bildet die Bürokratie eine demokratiefeindliche Glättungsschicht, indem sie durch Ausführungsbestimmungen für Gesetze verbleibende Restunterschiede von Parteien im Sinne der Maßgaben von struktureller Gewalt nivelliert.
Auch das scheint mir übertrieben negativ formuliert. Demokratiefeindlich mag Bürokratie sein; aber sie ist auch eine notwendige Voraussetzung dafür, dass der Staat funktioniert. Und das Funktionieren des Staates ist eine sehr praktische Sache auch für das Wohlergehen der Bewohner dieses Staates.
Die Frage, was für wen ist, der Staat für die Bürger oder die Bürger für den Staat, halte ich für eine subtile Frage, die sicherlich eine eigene Erörterung verdienen würde.

Eine erkenntnistheoretische Maxime, die ich sicherlich nicht vertrete, ist jedenfalls: Alles ist einfach genug, dass ich es zumindest im wesentlichen ohne eingehendste Beschäftigung verstehen kann. [Zumindest in Bereichen, wo ich mich etwas, auskenne, also Mathematiker und (sehr viel weniger) Physik, weiß ich jedenfalls, dass diese Maxime falsch ist.]

Ipsissimus
Dämmerung
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Sa 5. Mai 2012, 11:40 - Beitrag #40

ähm, ja^^ es waren natürlich 20000 Quadratkilometer gemeint^^

Lykurg, dieses Fläche ging von den Großgrundbesitzern an die bisherigen Kleinbauern über, die das Land für die Großgrundbesitzer praktisch zu Tagelöhnerbedingungen bestellten. Man kann also davon ausgehen, dass das Land nicht in die Hände von Laien fiel, die damit gar nichts anfangen konnten. Vielmehr konnten diese Tagelöhner ihre Existenz jetzt auf eigene Beine stellen.

Worum es mir ging, war, dass politisches Handeln ganz andere Konsequenzen haben kann, als es geplant war.


Diesen Satz unterschreibe ich bedingungslos, Padreic. Es lässt sich daraus schlussfolgern, dass zielgerichtetes politische Handeln immer spekulative Anteile enthält, was in der Sache liegt, nicht an der Schuld der Politiker. Das Dumme daran ist nur, dass, zumindest in Deutschland, Politiker glauben Führungsstärke dadurch zu beweisen, dass sie an ihren politischen Maßnahmen und deren Konsequenzen keinerlei Zweifel bekunden, die dargebotene Selbstsicherheit also abgekoppelt ist von den faktischen Möglichkeiten politischen Tuns. Mensch kann das unterschiedlich bewerten - bei mir hat das im Laufe meines Lebens zu immer mehr Verdruss geführt - ich habe einfach keinen Bock mehr darauf, Politikern zu vertrauen, wo sie nur Vermutungen folgen. Weil das Vertrauen, das dadurch auch mir abverlangt wird, viel zu oft missbraucht wurde.

Die Ursachen des Putsches sind naturgemäß umstritten, zumindest die Interpretation der Fakten. Die von dir dargebotene Deutung folgt im Wesentlichen einer konservativ-wirtschaftsnahen Auffassung, wie sie in Übernahme US-amerikanischer Deutungen in der damaligen Bundesrepublik als Deutungshintergrund des Militärputschs sehr schnell Allgemeingut wurde. Meine Interpretation basiert auf Texten chilenischer Dissidenten, Victor Jara, Pablo Neruda, Violeta Para vor allem, die sich ausgiebig mit der Situation in ihrem Heimatland beschäftigten, dem sie übereinstimmend eine jahrzehntelange faschistische Grundordnung bestätigten, die erst mit Frey, dem unmittelbaren Amtsvorgänger Allendes etwas aufgelockert wurde, ehe dieser ein kurzes Zwischenspiel in demokratischem Sozialismus versuchte.

Diese Deutung besagt im Wesentlichen, dass die wirtschaftliche Schieflage dadurch hervorgerufen wurde, dass sich bisherige Privilegienträger der faschistischen chilenischen Gesellschaft weigerten, auf unprivilegierter Basis ihren bisherigen Aufgaben nachzukommen. So verweigerten z.B. Speditionen den Transport von Nahrungsmitteln, weil sie plötzlich bestimmte Steuern zahlen mussten. Diese und ähnliche Machenschaften führten zu einer schnellen Eskalation; und wenn Allende einen Fehler gemacht hat, so besteht der darin, wie bereits angeführt, dass er das Ausmaß der Bösartigkeit, zu dem diese Leute bereit waren, unterschätzt hat.

Zitat von Padreic:Auch Gandhi und Konsorten, nur Ausführende von struktureller Gewalt? Wenn ja, dürfte es ein sehr neutraler Gewaltbegriff sein, der ungefähr synonym mit, wie soll ich sagen, Macht ist?

Zitat von Ipsisimus:Strukturelle Gewalt ersetzt in demokratischen Staaten die Unterwerfungsmethoden totalitärer Staaten

Strukturelle Gewalt ist eine Anwendungsform von Macht, wie Gewalt allgemein. Das Wesentliche daran liegt darin, dass ihre Anwendung in die Strukturen einer Gesellschaft eingeschrieben ist, z.B. durch Vorschriften, Richtlinien, Ausführungsbestimmungen u.ä., die dazu führen, dass die Ausführenden im Verweis auf die Richtlinien keine persönliche Verantwortlichkeit mehr übernehmen müssen. Dass beispielsweise ein ARGE-Berater in der Sache so hart mit einem Empfänger umspringen muss, hat nichts mit dem Berater persönlich zu tun, der dem Hilfesuchenden nur noch als Funktion gegenübertreten, sich aber nicht mehr persönlich von dessen Belangen belasten lassen muss.

Zitat von Padreic:Alles ist einfach genug, dass ich es zumindest im wesentlichen ohne eingehendste Beschäftigung verstehen kann.

Ich würde meinen, das hängt vom Abstraktionsniveau ab. Auf der Implementierungsebene können die Dinge beliebig komplex sein. Ich bezweifele nur, ob mit dem Verständnis dieser Komplexität etwas gewonnen ist für das Verständnis auf der Erweis-Ebene. Wenn Windows mal wieder nicht macht, was es soll, nervt das auch dann, wenn ich weiß, dass da ein großartiger, komplexer Programmcode dafür zuständig ist. Wenn soziale Maßnahmen wie HartzIV auf Verteilungsgerechtigkeit zielen, aber faktisch das Leben von Familien immer stärker unter Druck bringen und in die Schieflage bringen, sind die - kolportierten - guten Absichten belanglos.

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