Sport, Politik und Liebe

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
Dämmerung
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So 5. Aug 2012, 20:06 - Beitrag #21

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/olympische-spiele-matussek-ueber-nazi-worwuerfe-an-ruderin-drygalla-a-848348.html

... Aber mit einem "Naziskandal" kann der Rest der Welt nicht mithalten, das ist deutsche Kernkompetenz. Wieder einmal haben sich TV-Moderatoren und Kolumnisten in einem publizistischen Rudel zusammengefunden, um gratismutig und wohlstandssicher (und selbstverständlich 80 Jahre zu spät) Hitler zu verhindern und Nazis zu jagen.
Sind wir noch zu retten?

Nun hat sich Drygalla noch nicht einmal missverständlich ausgedrückt, sie hat nur den falschen Freund.

Sie hat sich vom Rechtsextremismus distanziert. Und sie sagt, ihr Freund habe dies auch getan. Das mag stimmen oder auch nicht. Vielleicht auch duldet sie seine Gesinnung, weil sie seinen Musikgeschmack teilt, oder weil er trotz allem für sie ein netter Kerl ist, oder weil ihr seine Augen gefallen. Es macht uns offenbar total verrückt, dass dieser Winkel ihres Herzens unseren Rasterfahndungen verborgen bleibt. Sind wir noch zu retten?

...

Drygalla habe sich vom rechtsextremen Gedankengut ihres Freundes distanziert, hört man. Und was, wenn nicht? Dürfte sie denken, dass Adolf Hitler ein Menschenfreund war? Aber klar, darf sie. Sie darf jede ausgesprochene Dummheit denken. Eine der stolzesten Parolen der Aufklärung legt Schiller seinem Marquis Posa in den Mund, als er im "Don Carlos" ausruft: "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!"

Die Gedanken sind frei. Außer bei Sportlern? Müssen wir Journalisten, ausgerechnet wir, die wir vom freien Wort, vom freien Gedanken, von der freien Meinung leben, uns nicht krümmen vor Empörung in solchen gleichgeschalteten ideologischen Einheitsstürmen? Sollen wir künftig syrische Sportler nach ihrer "ritterlichen Gesinnung" befragen, etwa danach, wie sie es mit Assad halten? Saudi-arabische Judokas, ob sie von einem Gottesstaat träumen?

Man hätte ihr vielleicht bei einer Kontaktanzeige helfen sollen


Lykurg
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So 5. Aug 2012, 20:37 - Beitrag #22

Oh, ich merke gerade, ich hätte genau dieselben Abschnitte kopiert. Sehr treffender Beitrag. Und daß jemand wie Petra Pau sich über fehlende politische Gedankenkontrolle beklagt, hat wirklich Geschmack.

Lykurg
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Mo 6. Aug 2012, 09:12 - Beitrag #23

Inzwischen hat sie sich in einem Interview zu Wort gemeldet. Sie sei nie Teil der Szene gewesen und habe auch wesentlichen Anteil daran gehabt, daß ihr Freund im Mai aus der NPD ausgetreten und sich von den 'Nationalen Sozialisten Rostocks' gelöst habe.
Zitat von Welt:Ich muss ganz klar sagen, dass unsere Beziehung davon sehr stark belastet wurde und ich in vielen Diskussionen klar gesagt habe, dass ich diese Meinung nicht teile und da nicht hinter stehe. [...]
Waren Sie selbst auf Demonstrationen? Drygalla: "Nein, überhaupt gar nicht. Ich habe keine Verbindung in seinen Freundeskreis und diese Szene gehabt und lehne das absolut ab. Bei mir kann man suchen, wie man möchte: Man wird bei mir nichts in diese Richtung finden. Heute lese ich in der Zeitung, dass das auch der Verfassungsschutz bestätigt.
Insofern scheint sich auch mein Eindruck zu bestätigen (wobei das mit dem Polizeiaustritt merkwürdig bleibt, eine Trotzreaktion?); eklig, wie die Presse hier aus vermutlich nichts eine große Gesinnungskampagne machen konnte - oder wie bei Matussek angedeutet, den Frust über fehlende Medaillen in der deutschen Königsdisziplin Nazijagd auslebt. Hoffentlich kann sie ihren Weg fortsetzen, ohne daß diese Geschichte an ihr haften bleibt.

Trotzdem muß man sich mE fragen, worin das Problem liegen sollte, wenn es anders wäre, wenn sie es nicht geschafft hätte, ihn aus der Szene zu lösen, sondern dem indifferent, apolitisch, gegenüberstände - oder sogar, noch ein anderer Fall, selbst NPD-Mitglied wäre. Wäre sie damit automatisch olympiauntauglich?

Ipsissimus
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Mo 6. Aug 2012, 10:19 - Beitrag #24

... oder sogar, noch ein anderer Fall, selbst NPD-Mitglied wäre. Wäre sie damit automatisch olympiauntauglich?


letzten Endes dürfte diese Frage nicht klärbar sein, ohne zugleich die im Kern zugrundeliegende Bombe, das Schisma in unserer gesellschaftlichen Struktur, zu entschärfen. Wenn wir eine freiheitlich demokratische Gesellschaft mit verfasster Grundordnung sein wollen, geht das nur dann, wenn die Grundordnung sich über die gesamte Gesellschaftsbreite erstreckt, das heißt, ohne wie auch immer geartete Privilegien für die Mitte. In diesem Sinne sind rechtsradikale und linksradikale Aussagen genau so gültige Vertreter der public opinion wie Aussagen aus der Mitte der Gesellschaft.

Mit Begrifflichkeiten wie "radikal", egal ob links oder rechts, "fundamentalistisch", "kommunistisch" oder "Neonazi" wird medial eine Wertigkeit erzeugt, die sich zwar im bürokratischen Handhabungsmodus, kaum aber auf Grundlage des Grundgesetzes wieder finden lässt.

Ich betrachte das als Problem, nicht als Lösung. Natürlich ist die Ansicht von Neonazis indiskutabel - aus einer bestimmten Perspektive. Nur muss diese Ansicht inhaltlich widerlegt werden, in der fortwährenden, unausgesetzten, aber inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Trägern derartiger Perspektiven - solange bis sie einsichtig werden. Aber nicht dadurch, dass sie und ihre Thesen aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verbannt werden.

Ich frage mich z.B., wieviele im Übrigen völlig unauffällige Menschen trotz aller gegenteiligen Belege davon überzeugt sind, dass Auschwitz in der üblicherweise kolportierten Form nie stattgefunden hat. Wenn man weiß, dass diese Auffassung existiert, dass sie als Auschwitzlüge in den Köpfen enthalten ist, dass sie geglaubt wird, wo zum Teufel ist die gesellschaftliche Diskussion darüber? Was nützt ein Verbot, wenn gewusst wird, dass es trotzdem geglaubt wird?

Natürlich wird es immer einen Rest von Uneinsichtigen geben. Ich glaube allerdings, dass dieser Rest wesentlich geringer ist, als die Mitgliedszahlen in extremen Parteien vermuten lassen. Was die Leute m.E. wirklich wollen, ist ernst genommen zu werden. Das muss die Gesellschaft ihnen geben, sonst geben sie sich mit der Illusion davon zufrieden, die ihnen in den entsprechenden Parteien gewährt wird.

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