Zum CERN der Dinge

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Traitor
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So 15. Apr 2012, 17:39 - Beitrag #61

Da habe ich vorgestern zu kurz gedacht: gebundene Zustände anderer Bosonen könnte es vielleicht prinzipiell geben, gebundene Zustände anderer Bosonen, die sich wie ein Higgs verhalten aber sicher nicht. Denn das Higgs ist ja nicht einfach irgendein passives Teilchen mit bestimmter Masse und Ladung, sondern es geht um den Higgs-Mechanismus, die Kopplung an alle anderen Teilchen. Und wie sollten zwei bekannte Elementarteilchen mit bestimmten Wechselwirkungen (z.b. Schwach und EM für W-Bosonen) durch Bindung plötzlich eine weitere elementare Wechselwirkung hinzugewinnen?
Alternativ könnte es gar keine neue elementare Wechselwirkung sein, sondern der Higgs-Mechanismus ein emergenter Effekt der Schwachen WW, aber das ist ja ein noch fundamentalerer Änderungsansatz, und dafür sind mir keine funktionierenden Theorien bekannt. Aber sicher wäre es eine der Non-Standard-Higgs-Varianten, die bei Ausbleiben einer Detektion des SM-Higgs verstärkt in die Diskussion kämen.

Ipsissimus
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So 15. Apr 2012, 20:19 - Beitrag #62

nun ja, es könnte sich um bisher unbekannte Bosonen mit entsprechenden Higg-kompatiblen Eigenschaften handeln. Und desweiteren: müssten es unbedingt Bosonen sein, die sich zum Higgs koppeln?

Wobei ich zugeben muss, Emergenz auf einer derart fundamentalen Stufe fasziniert mich natürlich viel mehr als noch so´n paar blöde Teilchen^^ btw. SM-Higgs=Sado-Maso-Higgs?^^

Traitor
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So 13. Mai 2012, 10:47 - Beitrag #63

SM = StandardModell. Deine Interpretation mag auf einige CERNler aber sicher auch zutreffen... ;)

Prinzipiell könnte jedes derzeit als elementar angesehen Teilchen aus weiteren Subteilchen bestehen, jenseits der bisher auflösbaren Skalen. Wenn die kombinierten Eigenschaften aber kompatibel zu den prognostizierten wären, dann würde man das Kombo-Higgs aber immer noch genau so finden, und weiterhin nicht erkennen können, dass es aus Teilen besteht. Wenn man es nicht findet, siehe vorheriger Beitrag: Nonstandardvarianten.

Traitor
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Do 7. Jun 2012, 15:03 - Beitrag #64

Isch hab da ma wat rescherschiert...

Es gibt wohl eine Vielzahl teils relativ populärer "composite Higgs"-Modelle, in denen neue schwachwechselwirkende, starkwechselwirkende oder ganz neuartige Teilchen/Felder die Rolle des Higgs als Massenbeschaffer übernehmen. Ein Klassiker ist das hübsch benannte Technicolor, das aber wohl als relativ sicher ausgeschlossen gilt.
Teilweise sind diese Modelle "higgsless", es gibt also kein dem SM-Higgs analoges Spin-0-Boson, aber die im engeren Wortsinne "composite Higgs" darstellenden Modelle sagen ebenfalls ein derartiges Teilchen voraus, siehe z.B. hier. Die haben aber wohl im Allgemeinen relativ stark abweichende Vorhersagen vom SM und dürften somit, wenn die derzeitigen Evidenzen sich als echt erweisen, recht schnell ausgeschlossen sein. Auf 1:1-Mimic-Higgs bin ich nicht gestoßen. Aber eigentlich gibt es kein Modell, dass es nicht gibt. ;)

Recht nette Blogs zum Thema sind übrigens "Of Particular Significance" (recht konservativ, bemüht sich um Allgemeinverständlichkeit) und [email=http://resonaances.blogspot.de/]"Resonaances"[/email] (teils etwas provokant, oft sehr technsch).

Ipsissimus
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Do 7. Jun 2012, 17:02 - Beitrag #65

ich bin einfach zu früh geboren^^ will noch wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, ehe ich sterbe^^

janw
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Do 7. Jun 2012, 18:28 - Beitrag #66

Ich fürchte mal, Nichts^^

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Do 5. Jul 2012, 13:09 - Beitrag #67

http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/cern-entdeckung-des-higgs-bosons-am-lhc-a-842561.html

tja, ist es nun entdeckt? Formulierungen wie In der Schweiz wurde, kaum gebremst von letzten Restzweifeln, die Entdeckung des seit Jahrzehnten gesuchten Higgs-Bosons verkündet erwecken jetzt nicht wirklich den Eindruck letzter Zweifelsfreiheit, 5 sigma hin oder her.

Ich befürchte nur, dass es mit diesen nur statistisch "bewiesenen" Entdeckungen immer weiter gehen wird. Und dass wir auf dieser Grundlage massiv in die Irre gehen.

btw^^

Der Verfassungsschutz hatte BTW das Higgs-Boson schon vor Jahren gefunden, aber dann die Akten geschreddert

oder

Seems the #Higgs particle is fully loptetic AND mandable at 175/4 GhP!! Was Svjeikobski right all along? CAN quarbles be auto-millinised?

und vor allem

Die CERN-Teilchenschützen haben nun definitiv wahrscheinlich, nicht mehr nur wahrscheinlich wahrscheinlich, das #Higgs gefunden

^^

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Sa 4. Aug 2012, 12:17 - Beitrag #68

Mit allen üblichen Standards entsprechender Sicherheit entdeckt ist ersteinmal ein Boson mit einer Masse von ca. 125 GeV, dessen Entstehungskanäle kompatibel mit "dem Higgs-Boson" sind. Nun bleibt durch genauere Ausmessung dieser Kanäle herauszufinden, ob es a) auch wirklich alle Eigenschaften hat, die es braucht, um den Higgs-Mechanismus zu erkläre, und b) ob es das einfache Standardmodell-Higgs ist oder etwas komplizierteres. Gut zusammengeschrieben hier (und noch detaillierter zur zweiten Frage).

Formulierungen wie In der Schweiz wurde, kaum gebremst von letzten Restzweifeln, die Entdeckung des seit Jahrzehnten gesuchten Higgs-Bosons verkündet erwecken jetzt nicht wirklich den Eindruck letzter Zweifelsfreiheit, 5 sigma hin oder her.
Wären die Formulierungen noch eindeutiger, würdest du dich über Hybris aufregen. ;)

Ich befürchte nur, dass es mit diesen nur statistisch "bewiesenen" Entdeckungen immer weiter gehen wird. Und dass wir auf dieser Grundlage massiv in die Irre gehen.
Die Alternative wäre, aufzugeben. Außerdem war das früher auch nicht besser, im Zweifel hatte man halt Statistiken über Stichproben der Größe 1. ;)

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So 5. Aug 2012, 11:59 - Beitrag #69

Wären die Formulierungen noch eindeutiger, würdest du dich über Hybris aufregen. Bild


ach was, ich wäre entzückt, wenn jemand Offizielles den Mut hätte zu sagen, wir haben das Higgs entdeckt. Irrtümer können ja korrigiert werden. So kann ich jetzt bloß sagen, dass das Standardmodell mit 5 Sigma wahrscheinlich ist^^ und das vor dem Hintergrund des Gedankens, dass das Standardmodell praktisch überhaupt nichts vom Universum weiß, weil es keinerlei Kandidaten für Geistermaterie und -energie enthält, die, wie wir wissen, gut 95% des Universums ausmachen. Das heißt, wir haben hier ein 5-Sigma-Gebilde, das alles Wesentliche nicht enthält^^ Und wir haben die starke Vermutung, dass alles Wesentliche auch nichts mit diesem Gebilde zu tun haben wird, das dann im Rahmen der vereinheitlichten Theorie über Normal- und Geistermaterie nur eine Nebenbemerkung darstellt.

Frage: Gilt der Higgs-Mechanismus auch für Geistermaterie?

Die Alternative wäre, aufzugeben. Außerdem war das früher auch nicht besser, im Zweifel hatte man halt Statistiken über Stichproben der Größe 1.


dann war die Wissenschaft früher auch nichts anderes als eine kompliziertere Version einer Glaskugelguckerin^^

Traitor
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Mo 6. Aug 2012, 12:11 - Beitrag #70

Es wird offiziell gesagt, dass sie etwas entdeckt haben. ("Observation of") Nur nicht, dass sie das Higgs entdeckt haben. Weil das die Daten noch nicht hergeben.

Wenn wir gerade bei "offiziell" sind - immer noch Dunkle Materie, nicht Geistermaterie, bitte. ;) Ob die DM "wesentlicher" ist als die normale Materie, haben wir ja schonmal diskutiert. Und auch was die Struktur der populären Standardmodell-Erweiterungen für Dunkle Materie angeht, ist die DM dann weiterhin eher eine Nebenbemerkung.

Frage: Gilt der Higgs-Mechanismus auch für Geistermaterie?
Bis zum Beweis des Gegenteils oder Auftauchen einer sehr überraschenden Alternatividee: höchstwahrscheinlich ja. Zumindest wenn es WIMPs sind, sind sie bis auf ihre Häufigkeit und Masse ziemlich normal und langweilig. Sind sie exotischer, müssten sie schon sehr exotisch sein, um higgslos Masse zu bekommen. Nur bei wirklich nur rein gravitativ, nichtmal schwach, wechselwirkenden Teilchen bin ich mir gerade nicht sicher, ob und wie da Higgs ansetzen könnte.

dann war die Wissenschaft früher auch nichts anderes als eine kompliziertere Version einer Glaskugelguckerin^^
Aber eben die eine Glaskugelguckerin, die ihre Methode systematisiert hat und bisher sämtliche Überprüfungen bestanden hat. ;)

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Mo 6. Aug 2012, 13:59 - Beitrag #71

Nur nicht, dass sie das Higgs entdeckt haben. Weil das die Daten noch nicht hergeben.


mag sein^^ sie freuen sich also wie die Lottokönige, weil sie irgendwas entdeckt haben^^ und dass da die Entdeckung des Higgs suggeriert wird, ist nicht Problem von CERN^^

ja, von mir aus offiziell gerne weiter Dunkle Materie^^ WIMPS sollen ja nur schwach und gravitativ wechselwirken. Bisher dachte ich, der Higgs-Mechanismus habe nur was mit starker Kernkraft, mit den Eichbosonen zu tun. Ist dem nicht so? Obwohl, wenn es darum geht, dass virtuelle Teilchen grundsätzlich keine Masse haben dürfen, obwohl sie Masse haben, müsste er natürlich auch was mit der schwachen Kernkraft zu tun haben.

Und natürlich ist die Geistermaterie - wenn unsere bisherigen Abschätzungen stimmen - für das Universum wesentlicher als baryonische Materie, da gibt es eigentlich gar keine Frage. Nur ob sie für unsere Existenz wesentlicher sind, das mag disputabel sein. Andererseits, wenn es ohne Geistermaterie/-energie gar kein Universum gäbe, weil vielleicht die Gravitation sonst alles kurz und klein geschlagen hätte - was wäre dann mit unserer Existenz^^

Aber eben die eine Glaskugelguckerin, die ihre Methode systematisiert hat und bisher sämtliche Überprüfungen bestanden hat. Bild


klar^^ nicht zu vergessen, dass man ignorieren muss, was da so alles an Theorieleichen den Weg pflastert^^

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Di 21. Aug 2012, 11:16 - Beitrag #72

sie freuen sich also wie die Lottokönige, weil sie irgendwas entdeckt haben^^
Physiker sind wie Kinder, das ist doch bekannt. :D
und dass da die Entdeckung des Higgs suggeriert wird, ist nicht Problem von CERN^^
Suggeriert wird es durchaus absichtlich, da man ja stark vermutet, dass es das ist. Suggerieren und offiziell beanspruchen ist aber eben etwas anderes.

Bisher dachte ich, der Higgs-Mechanismus habe nur was mit starker Kernkraft, mit den Eichbosonen zu tun. Ist dem nicht so?
Dem ist nicht so. ;) Beim elementaren Higgs-Mechanismus geht es darum, den Austauschbosonen der schwachen Wechselwirkung / Kernkraft, den W- und Z-Bosonen, ihre Masse zu verleihen. Wie genau sich das dann auf die Materieteilchen im engeren Sinne, also Hadronen und Leptonen, fortpflanzt, ist wohl recht kompliziert und auch mir nicht ganz klar.
Gluonen, die Austauschbosonen der starken WW / KK, dagegen sollten ruhemasselos sein, wie Photonen. "Eichbosonen" umfasst die alle, nicht nur die starken.

Und natürlich ist die Geistermaterie - wenn unsere bisherigen Abschätzungen stimmen - für das Universum wesentlicher als baryonische Materie, da gibt es eigentlich gar keine Frage.
Hängt davon ab, ob du reine Buchhalterei betreiben willst, oder auch Strukturanalyse. Für Buchhalterei ist die DM sicher überwiegend, wenn auch ein Verhältnis von 5 alles andere als marginalisierend ist. Für die Strukturanalyse ist die BM nicht vernachlässigbar, und für die Frage nach den (teilchen)physikalischen Grundgesetzen eben auch nicht.

klar^^ nicht zu vergessen, dass man ignorieren muss, was da so alles an Theorieleichen den Weg pflastert^^
Nein, nur Hypothesenleichen, und Theoriefrankensteins. ;)

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Di 21. Aug 2012, 11:42 - Beitrag #73

Dem ist nicht so.
huch, das ist peinlich^^ im Grunde weiß ich, dass W- und Z-Eichbosonen die schwache Kernkraft regeln, aber aus irgendeinem Grund hatte ich Higgs immer bei starker Kernkraft angesiedelt^^ na ja, ich werde langsam dement^^

Suggeriert wird es durchaus absichtlich, da man ja stark vermutet, dass es das ist. Suggerieren und offiziell beanspruchen ist aber eben etwas anderes.
das ist aber gefährlich, wie du in geringfügig anderer Angelegenheit im Randall-Thread schreibst^^

Hängt davon ab, ob du reine Buchhalterei betreiben willst, oder auch Strukturanalyse.
offenbar gab es ja bei der Strukturanalyse gewisse Schwierigkeiten, sonst wäre man wohl kaum auf die Idee gekommen, es könne sowas wie Geistermaterie geben. Deren Relevanz für die Strukturanalyse scheint also nicht gerade vernachlässigbar. Ich bezweifele auch nicht, dass das Standardmodell geschätzte 5% des Universums durchaus angemessen beschreibt, darunter unsere eigene Existenz. Nur dass es halt nach Stand der Dinge damit 95% nicht beschreibt (Geisterenergie inklusive).

die Äthertheorie wäre dann so ein Frankenstein? Ich habe jedenfall noch nie gelesen, dass sie als Ätherhypothese kolportiert worden wäre^^

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Di 21. Aug 2012, 11:55 - Beitrag #74

Gefährlich in gewissem Maße, ja, aber meines Erachtens haben sie die Gratwanderung relativ gut hingekriegt, zumindest hat es das Ergebnis "wir haben sicher etwas gefunden, das wahrscheinlich ein Higgs ist, und ob es das Standard-Higgs ist, ist noch weitgehend unklar" in halbwegs akzeptablen Formulierungen in viele Massenmedien geschafft.

Jetzt kommen wieder Teilchenphysik-Standardmodell und Kosmologie-Standardmodell durcheinander. Der Teilchenphysik ist es recht egal, wieviel Prozent der Universumsmasse welches Teilchen ausmacht, für die Systematik sind alle wichtig. Der Kosmologie ist es recht egal, ob die für sie relevanten Teilchen vom Teilchen-Standardmodell oder einer Erweiterung beschrieben werden, solange ihre Eigenschaften passen.

"Die Äthertheorie" ist ein beliebtes Etikett, aber "der Äther" war selten mehr als ein interpretatives Wort. Die Theorien, die ihn vermeintlich benötigten - klassische Mechanik und Elektrodynamik - haben als Frankenstein-Organspenden überlebt.

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Di 21. Aug 2012, 11:59 - Beitrag #75

na ja, wenn es überhaupt ein Higgs ist - also Masse vermittelt - scheint es erst mal sekundär zu sein, um welches Higgs genau es sich handelt. Jedes Higgs bestätigt, dass der Higgsmechanismus keine Fiktion ist.

Der Teilchenphysik ist es recht egal, wieviel Prozent der Universumsmasse welches Teilchen ausmacht, für die Systematik sind alle wichtig.
der Teilchenphysik schon, also den Teilchenphysikern^^ wenn aber das Standardmodell als abgeschlossen gilt und trotzdem alle möglichen Teilchen nicht enthält, die zum Erklären des größten Teils der universellen Materie notwendig sind, dann scheint auch meine Auffassung davon, was ein Standard ist, sich erheblich von jener der Teilchenphysiker zu unterscheiden.

Traitor
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Di 21. Aug 2012, 12:17 - Beitrag #76

Ach verdammt. Andauernd benutze ich ganz unschuldige Wörter und merke erst nachher, dass die in der Normalsprache anders benutzt werden. ;)

Zitat von Traitor, Randall-Sundrum-Thread:Ein Modell ist per Definition abgeschlossen, und alle darüber hinausgehenden Fragen führen zu Modellerweiterungen. Weshalb es eben einen riesigen Zoo von Standardmodell-Erweiterungen gibt, von denen genug auf so solider theoretischer Basis stehen, dass sie bei Auftauchen erster diskrimierender Beobachtungen umgehend Teil des Standardmodells werden können. Man könnte "Standardmodell" definieren als "die Schnittmenger aller von den aktuellen Daten erlaubten Modelle".

Nochmal konkret aufs Teilchenphysik-Standardmodell bezogen: zum aktuellen Zeitpunkt umfasst "das Standardmodell" einen "abgeschlossenen" Satz Hypothesen, im Sinne von "X durchnummerierte Sätze", also auch Y durchnummerierte Teilchen und Wechselwirkungen, über die weitestgehende Einigkeit besteht, sodass es eben als Standardmodell anerkannt ist.
Dass "das Higgs" (in seiner einfachsten Form) schon vor seiner Entdeckung als Teil des Standardmodells gezählt wird/wurde, widerspricht etwas meiner sonstigen Einstellung, dass etwas erst nach experimenteller Überprüfung Teil des Standardmodells sein kann, erklärt sich in diesem Sonderfall aber daraus, dass das sonstige Standardmodell ohne Higgs logisch inkonsistent wäre. (Sein definitives Nichtauffinden also eine echte Sensation gewesen wäre.)
Ab Teilchen Y+1 redet man von Standardmodellerweiterungen, beispielsweise Supersymmetrie. Diese umfassen dann beispielsweise Kandidaten für die Dunkle Materie.

"Abgeschlossen" heißt hier in keinster Weise, dass das Standardmodell qua seiner internen Struktur Erweiterungen ausschließe. Es lässt unsäglich viele davon zu. Der Hypothesensatz wird nur eben an der Grenze des aktuellen Kenntnisstandes manuell "abgeschlossen", um Standard und Ersatz begrifflich zu trennen.

Für die Dunkle Materie gibt es zu viele einander ausschließende, aber allesamt mit den bisherigen Beobachtungsdaten konsistente Erweiterungsmöglichkeiten, daher kann die Dunkle Materie noch nicht Teil des Standardmodells sein. Es wird auch keine von ihnen vom bisher überprüften Teil des Standardmodells dringend nahegelegt, im Gegensatz zum Higgs, weshalb sich keine vorgreifende Inkludierung einer "Standard-DM" anbietet. Die etablierteren der möglichen Erweiterungen sind aber durchaus derzeit wahrscheinliche Erklärungen des Universums und somit "kann die Teilchenphysik das Universum erklären", es ist nur noch keine von ihnen eine derzeit mit höchster Wahrscheinlichkeit innerhalb ihres Gültigkeitsbereichs alternativlose Erklärung des Universums, aka ein "Standardmodell".

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Di 21. Aug 2012, 13:16 - Beitrag #77

okay, das verstehe ich besser. Das derzeitige Standardmodell, obwohl es den gegenwärtigen Endpunkt einer sehr langen Forschung darstellt, ist also nur Teilmenge unbekannten Anteils am Gesamten eines zukünftigen umfassenden Standardmodells, das alle möglichen neuen Teilchen (und Kraftteilchen?) umfassen wird. Im Grunde nur ein Arbeitstitel, lange vor Fertigstellung des Romans.

derzeit mit höchster Wahrscheinlichkeit innerhalb ihres Gültigkeitsbereichs alternativlose Erklärung
könnte nicht z.B. die Superstringtheorie als Alternative gelten? Oder setzt die auf einer anderen Erklärungsebene an?

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Di 21. Aug 2012, 14:02 - Beitrag #78

Work in progress, ja. Das drückt "Modell" auch hoffentlich etwas besser aus als "Theorie".

Die Stringtheorie ist eine Erweiterung des Standardmodells, die es bei niedrigen Energien als Grenzwert beinhaltet. (Im Labor: niedrige Energien = größere Abstände, sprich, falls Elementarteilchen nicht elementar sind, kann man bisher im Labor noch nicht in ihr Inneres gucken; im frühen Universum: niedrige Energie = späterer Zeitpunkt, wir können nicht weit genug zurückschauen, um nicht-Standardmodell-Wechselwirkungen direkt zu beobachten.) Ähnlich, wie die ART als gravitationsfreien Grenzfall die SRT enthält und die SRT als Niedriggeschwindigkeits-Grenzfall Newton. Und das Standardmodell selbst als Niedrigenergiegrenzfälle klassische Kern- und Atomphysik bis hoch zur Alltagsphysik der festen Körper. (Wobei der letzte Schritt natürlich strenggenommen in vielen Aspekten nicht belegt ist, sondern nur als Emergenz sehr einleuchtend erscheint.)

Ipsissimus
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Fr 28. Sep 2012, 14:45 - Beitrag #79

Wie isses denn nun? Wird in den Diskussionen der Physiker mittlerweile über das Higgs in ähnlicher Weise gesprochen wie über ein Elektron? Also als erwiesenes Teilchen, dessen Existenz nicht mehr in Frage steht?

Traitor
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Di 2. Okt 2012, 19:45 - Beitrag #80

Nö. ;) Die meisten geben sich weiterhin Mühe, vom "higgs-like particle" zu reden. Dass es ein völlig anderes Teilchen mit zufällig passender Masse und halbwegs ähnlichen Zerfallskanälen ist, glaubt aber wohl niemand ernsthaft. Darüber, ob es ein Standard-Higgs oder eine kompliziertere Variante ist, wird aber noch heiß diskutiert und sicher auch gewettet.

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