Insolvenz der Frankfurter Rundschau

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Traitor
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Mi 14. Nov 2012, 09:59 - Beitrag #1

Insolvenz der Frankfurter Rundschau

Anscheinend verliert Deutschland gerade eine große Medieninstitution.

Aber wird sie wirklich jemand vermissen?

Ich zumindest nicht. Gelesen habe ich sie nur gelegentlich gratis in Bahn oder Flugzeug. Im Gegensatz zu FAZ, Welt und SZ erschien sie mir auch immer als seltsamer Hybrid aus größenwahnsinnigem Lokalblatt und bemühter möchtegern-überregionalen Zeitung, echtes nationales Format hat sie zumindest im letzten Jahrzehnt nicht (mehr?) gehabt. Schon allein das Titelblatt mit dem Grün und der gammligen Schriftart wirkte hoffnungslos, sie war oft erschreckend dünn (höchstens halb so dick wie die Konkurrenz) und der Politikteil auch nicht viel besser als der des Bonner General-Anzeigers. Dass sie "linskliberal" sein soll, war mir bisher auch nicht bewusst - obwohl es vielleicht sogar ein Qualitätsmerkmal einer Zeitung ist, sich ihre Gesinnung nicht anmerken zu lassen.

Fazit: drei echte überregionale Zeitungen plus Internet reichen eigentlich, wenn die FR endgültig eingestellt wird, wird das außer den Abonnenten kaum einer merken. Obwohl natürlich die verbliebenen Drei auch nicht gerade toll sind...

Lykurg
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Mi 14. Nov 2012, 11:09 - Beitrag #2

Diese Mischstimmung - ja, eigentlich müßte das eine große Nachricht sein, aber irgendwie ist sie es doch nicht - teile ich; für mich klafft da ein großer Abstand zwischen der von mir 'gefühlten' Bedeutung des Blattes aus Hörensagen, Erwähnungen anderer, historischer Relevanz und Beachtung durch andere Medien einerseits und persönlicher Nutzung andererseits. Wie manche Klassiker der 50er Jahre, die ich wohl so bald nicht lesen werde, obwohl ich die Titel 'schon immer' kenne und um ihre Bedeutung weiß. Mein Interesse an überregionalen Frankfurter Druckerzeugnissen ist darüber hinaus mit der FAZ völlig gedeckt.

Aber Traitor, wie konntest du in der Auflistung nur die 'Bild' vergessen (naja, mit etwas Glück geht sie auch in ein paar Jahren ein).^^

Traitor
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Mi 14. Nov 2012, 18:17 - Beitrag #3

Lykurg, ich habe von Zeitungen geredet. ;)

Zitat von SpOn:Seit vergangenem Jahr wurde der überregionale Mantelteil der "FR" von der "Berliner Zeitung" produziert, die ebenfalls zur DuMont-Gruppe gehört. Damit reduzierten die Eigentümer zwar die Kosten weiter, gefährdeten jedoch die Identifikation der Leser mit dem Blatt.

Wenn ich das richtig interpretiere, gab es de facto eh schon keine überregionale FR mehr, sondern nur noch ein in Fremdware verpacktes Regionalblatt? Warum wurde dann deutschlandweit die FR verkauft und nicht diese ominöse "Berliner Zeitung", die mir überhaupt nichts sagt? Vermutlich in der Hoffnung, dass Altkunden sie aus Traditionsgründen noch kaufen. Klar, dass das nicht funktionieren konnte.

Lykurg
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Mi 14. Nov 2012, 18:34 - Beitrag #4

Ich hatte bis eben gedacht, die "Berliner Zeitung" und die ebenfalls in Berlin erscheinende "B.Z." seien dasselbe. Letztere ist 1877 gegründet, gehört aber inzwischen zu Springer und macht keinen großen Unterschied zu Bild; nur ist das rote B.Z.-Logo in Schreibschrift. Die "Berliner Zeitung" dagegen, mit einem Frakturtitel mit Stadtwappen in der Mitte, wurde 1945 als "Organ des Kommandos der Roten Armee" gegründet. Wenn sie die redaktionelle Linie in etwa beibehalten hat, dürfte sie zur FR immerhin besser gepaßt haben als ihr Namensvetter. Bild

Traitor
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Mi 14. Nov 2012, 19:26 - Beitrag #5

Die Fehlassoziation zur BZ hatte ich auch erst, zerstreute sich aber schnell. Außerdem war mir die Rote Armee bisher ehrlich gesagt nicht als "linksliberal" bekannt, höchstens im Sinne US-republikanischer Propaganda gegen "f*** liberal socialist democrat nazis". ;)

Relevant scheint die unabgekürzte Berliner Zeitung schon zu sein, wohl West-Bias, dass wir die nicht kennen.

Schön auch:
Zitat von deWP: Erich Böhme, prominenter Herausgeber von 1990 bis 1994, formulierte den Anspruch, die Berliner Zeitung zur „deutschen Washington Post“ zu machen. Dieser gilt in der Zeitungsbranche als bisher nicht erfüllt.
"Bisher" :D. Wobei die Post ja eigentlich auch heutzutage als eher konservativ gilt... naja, in den 70ern war sie noch das Gegenteil, vielleicht war der Wandel in den frühen 90ern noch nicht ganz vollzogen.

Ipsissimus
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Do 15. Nov 2012, 13:25 - Beitrag #6

na ja, neben der schwierig goutierbaren TAZ war die FR eine der wenigen Zeitungen, die sich den allgegenwärtigen neoliberalen Einfärbungen verschlossen hatte, dafür habe ich ihr sogar die übergroße Nähe zur SPD verziehen. Dass sie jetzt selbst der SPD peinlich geworden ist, darf getrost als Treppenwitz gelten, genauso wie der Umstand, dass sie jetzt genau den Marktkräften unterlag, die sie jahrzehntelang bekämpft hatte. Allerdings ist ihr Scheitern kein Zufall. Der Verlust des Rundschauhauses im Jahre 2005 mag zwar in Zeiten geforderter Mobilität kaum als große Sache gelten, aber das Gebäude war ein Identitätsstifter, und die hatte sie damit verloren. Danach kam eigentlich auch nur noch Mist.

Ich finde die Entscheidung von DuMont Schauberg und der SPD Medienholding aus Marktperspektiven nachvollziehbar, aber zutiefst enttäuschend; die FR werde ich als Kontrapunkt schon vermissen. Im Prinzip bleibt jetzt nur noch der Freitag.

Traitor
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Do 15. Nov 2012, 14:00 - Beitrag #7

Du findest eine linke Tendenz also bis heute erkennbar? Mir erschienen die Artikel nur noch als aufgehübschste Agenturmeldungen. Aber vielleicht liegt das ja daran, dass ich eben nur Artikel lese und Kolumnen und Kommentare, in denen die Ausrichtung der Zeitung am deutlichsten ist, weitgehend ignoriere. Beeinflusst vor allem von FAZ und SZ, wo die in ihrer Selbstgefälligkeit wirklich unerträglich sind.

Vielleicht sollte ich also nochmal eine FR kaufen, um das zu überprüfen. Und wenn sich das jetzt viele Semi-Leser denken, haben sie plötzlich einen Auflagenschub, der sie doch noch rettet. ;)

Freitag?

Ipsissimus
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Do 15. Nov 2012, 14:33 - Beitrag #8

nein, ich fand eine linke Orientierung bis 2005 erkennbar, danach hat nur noch König Markt regiert.

"der Freitag" ist eine linke Wochenzeitschrift, Verleger Jakob Augstein, der Sohn des Spiegel-Gründers

Traitor
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Sa 17. Nov 2012, 15:55 - Beitrag #9

Vom Freitag hatte ich bisher nur sehr gelegentlich mal gehört. "Das Meinungsmedium" klingt aus genannten Gründen eher unsympathisch, aber ansonsten wirkt das durchaus lesenswert, mal reinsehen. ("Natürlich" nur online...)

Traitor
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So 18. Nov 2012, 18:47 - Beitrag #10

Nach einer ersten Freitags-Stichprobe am Sonntag (Piraten - Angst vor der Macht, NPD - Geschlossene Gesellschaft, Griechenland - Vor dem letzten Stoß, Nahost - Bevor die Raketen flogen und thematisch passend FR - Der grüne Balken leuchtet nicht mehr) würde ich sagen: ähnlich selbstverliebt wie FAZ und SZ, tatsächlich sehr stark auf Meinungsmache ausgelegt (die meisten Artikel enden mit einem argumentativ völlig unbelegten Sprung zu einer ziemlich einseitigen Stellungnahme), aber tatsächlich mit Schwerpunkten und auch Fakten, die mir anderswo nicht begegnet sind. Durch letzteres durchaus lesenswert.

Ihr FR-Beitrag liefert die mir bisher fehlenden Hintergrundinformationen zur gesellschaftlichen Bedeutung in vergangenen Jahrzehnten. Interessant auch, dass dort zwischendurch auch kurz ein allgemeiner Schwenk des Feuilletons von politisch-gesellschaftlicher Relevanz weg angesprochen wird - dass dieses Ressort von Älteren und in inzwischen historisch gewordenen Romane oft als so wichtig angesehen wird, hat sich mir nie erschlossen, aber wenn es früher mal ganz andere Themen enthielt als nur Theaterkritiken und möchtegernphilosophisches Geschwafel, erklärt sich das.

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Mo 26. Nov 2012, 13:12 - Beitrag #11

Mit der Financial Times Deutschland wirft jetzt auch eine der neueren toughen Zeitungen für erfolgreiche Manager das Handtuch.

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Mo 26. Nov 2012, 17:13 - Beitrag #12

Die Folgen sind unabsehbar...

Traitor
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Mo 26. Nov 2012, 17:50 - Beitrag #13

Das ist ja wirklich tragisch, Lykurg. :boah: (Quelle?)

Im Gegensatz zur FR wird auf die FTD ja von der restlichen Medienlandschaft eher Häme ausgeschüttet, insbesondere ihr seit langem bestehendes Missverhältnis von Gratis- zu Verkaufsexemplaren wird ihr jetzt vorgehalten. Da ist sicher auch etwas dran.
Fraglich ist auch, ob das Blatt jemals wirklich von "erfolgreichen Managern" gelesen wurde, oder nicht eher von solchen, die sich dafür halten wollten, aber weder Mitarbeiterstab noch eigene Kompetenz hatten, um sich fachgerechter zu informieren. ;)
Vermutlich hatte sich das Konzept einer Publikums-Finanzzeitung auch einfach schon mit dem Abflauen der Börseneuphorie überlebt.

Nachtrag zum Freitag: inzwischen habe ich auch einen versteckten Nur-Politik-Feed gefunden, sodass ich von ihren andauernden Tatort- und Politischer-Krimi-Rezensionen verschont bleibe. Komischer Redaktionsfetisch.

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Mo 26. Nov 2012, 18:54 - Beitrag #14

was ein Doppelpunkt an der richtigen Stelle alles anrichten kann^^

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Mo 26. Nov 2012, 20:10 - Beitrag #15

Unklare Quelle, Traitor, ich fragte mich schon, ob es ein Fake ist: Ich habe es aus dem DLF-Feed auf Facebook, der auf SpOn verweist, der auf eine Einzelperson verweist. Den Artikelanfang (mit [inzwischen?] anderer Überschrift) gab es im Hamburger Abendblatt, allerdings kann es sich damit immer noch um eine Agenturmeldung handeln, oder die Grundlage eines Fakes. Die Type ist mE nicht abendblättisch.

Ipsissimus
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Fr 7. Dez 2012, 15:46 - Beitrag #16

andersherum scheint es auch zu gehen, die Pardon macht wieder auf

http://www.pardon-magazin.de/

mensch darf gespannt sein, ob sie an das Niveau der alten Pardon, oder wenigstens an das der Titanic herankommen

009
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Fr 7. Dez 2012, 23:54 - Beitrag #17

Zitat von Ipsissimus:was ein Doppelpunkt an der richtigen Stelle alles anrichten kann^^


Lerne Grammatik - denn Satzzeichen können Menschenleben retten: Komm wir essen Opa.

Traitor
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Di 18. Dez 2012, 00:13 - Beitrag #18

Dank an 009 fürs Ausgraben des BILD-Threads, in dem Jan die Misere der FR bereits erkannte und ich schön demonstrierte, dass bis zu den überall veröffentlichten nostalgischen Abgesängen im Zuge der Insolvenz großen Teilen der aktuellen potentiellen Kundschaft die politisch relevante Vergangenheit dieser Zeitung überhaupt nicht bekannt war, das vielleicht einzige echte Verkaufsargument also kaum noch ziehen konnte.

@Ipsissimus: War die mal spannend?

Ipsissimus
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Di 18. Dez 2012, 01:19 - Beitrag #19

ja, die war mal spannend^^

Traitor
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Di 18. Dez 2012, 01:25 - Beitrag #20

Pardon, aber könnten Sie dies bitte genauer ausführen? ;) Die Frage war nicht sarkastisch, sondern ehrlich informationsheischend gemeint.


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