So, ich hoffe, das wurde jetzt nicht zu lang und unorganisiert. Mir ist es aber wichtig, dass man diese Überlegungen nicht schlicht als Schwachsinn abtut, weil man die möglichen Konsequenzen nicht mag. Die Autoren wollen eine Debatte und ein Nachdenken anstoßen, ein Nachdenken, wo man nochmal in die Grundlagen seiner eigenen ethischen Vorstellungen blicken sollte.
Man hat leider das Gefühl, dass die Autoren nicht nur das wollen. Ich weiß nicht, ob du zusätzlich den von David Gillon geschriebenen Kommentar gelesen hat, den Ipsi in seinem Post empfahl - es bietet sich an als Hintergrundwissen hinsichtlich einer Debatte, die weit mehr anstößt als akademische Gedankenexperimente und ethische Reflexionen.
Natürlich ist es wichtig, dass man diese Überlegungen nicht
deswegen als Schwachsinn abtut, weil man die möglichen Konsequenzen nicht mag. Es ist zwar ein gewichtiger Hinweis - die reductio ad absurdum ist immer noch ein nützliches Argument, und die Folgen, dh. die Tötung von Neugeborenen oder gar Kleinkindern, senilen Menschen, Behinderten, in Konsequenz dann auch Depressiven, chronischen Schmerzpatienten und zuletzt auch Schlafenden (im Schlaf kein Bewusstsein, keine Pläne -> keine Person), sind hoffentlich den meisten zuwider. Aber natürlich ist es weit hilfreicher, zu sehen, dass bei aller scheinbaren logischen Notwendigkeit der Folgerungen Peter Singer und seine Anhänger auf Axiomen aufbauen, die in sich schon zu gefährlich und willkürlich sind, um sie zu akzeptieren.
Da wäre zunächst einmal der Utilitarismus - in seiner humanistischen Form noch wohltuend, indem für die Menschheit ein möglichst großes Wohlbefinden angestrebt wird -, der in seiner biologistischen Form absurd wird. Wenn Glück das höchste Gut ist... aber wieso sollte es das sein, und wessen Glück steht im Fokus? Dieses erste WENN gilt es zurückzuweisen, wenn man sich nicht auf eine logische Argumentationskette einlassen will, die zu den oben genannten Konsequenzen führen kann. Glück ist NICHT das höchste Gut; es mag zwar das sein, wonach die Menschheit strebt, und wenn sie ihre sonstigen Werte verwirklicht, hat sie auch gute Chancen, es zu erhalten; aber der Mensch selbst sollte einen Wert zugesprochen bekommen, der höher liegt als das Glück der Massen, da sich meines Erachtens nur auf Grundlage des Respekts vor dem Individuum eine menschenwürdige, freiheitliche und glückliche Gesellschaft aufbauen lässt. Die Würde des Menschen wäre somit ein mindestens ebenso hohes Gut wie sein Glück, und somit wären alle Erwägungen, die den Mord an Individuen ethisch günstig erscheinen lassen, hinfällig - der Respekt vor dem Wert des Menschen verbietet sie. Selbst der Tyrannenmord ist, wiewohl ethisch gerechtfertigt, in diesem Wertesystem niemals die optimale Lösung, mit der alle zufrieden sein sollten, sondern die ultima ratio.
Aber sagen wir einmal, da es ja angeblich um akademische Spielereien geht, der Utilitarismus wäre das Konzept der Wahl, und man sähe sich vor der Aufgabe, ungeachtet jeder individuellen Wünsche und Bedürfnisse das größte Glück für die größte Zahl zu produzieren. Es gäbe keine andere ethische Richtlinie als das, und man würde sich wohl dabei fühlen, die Maßnahmen durchzusetzen, egal, ob sie für Einzelne den Tod, Folter, Verlust von Angehörigen oder ähnliches bedeuten würden. Selbst, wenn dies alles zuträfe, würde sich logisch noch nichts ergeben, sondern man müsste erst zwei Fragen klären, die das gesamte System entscheidend beeinflussen:
1. Für
wen möchte ich das größte Glück erreichen, dh. wer ist Ziel der Maßnahme und wer kann beliebig als Mittel eingesetzt werden?
und
2. Was ist Glück? Wer legt fest, ob jemand glücklich ist oder nicht?
Ich werfe den Bioethikern um Singer vor, dass sie die erste Frage in grotesker Weise beantworten und die Klärung der zweiten Frage völlig für sich beanspruchen, obwohl es sich um eine Frage handelt, die höchst individuell beantwortet werden muss und niemals von außen festgelegt werden kann, häufig nicht einmal von innen mit letztlicher Sicherheit. Ganz sicher ist sie nicht in einem biologistischen Sinne an äußere Faktoren geknüpft - im Sinne einer mathematischen Funktion wie gesund -> glücklich, krank -> unglücklich. Hier darf, meines Erachtens, ethische Empörung einsetzen: Die Artikelschreiber gehen selbstverständlich davon aus, dass Behinderte Menschen unglücklicher sind, weniger am Leben teilhaben, weniger wichtig für das Glück der Masse sind. Solches Gedankengut, von akademischen Menschen geäußert,
kann nur empören; denn in einem unsicheren Feld wie dem persönlichen Glück, in dem Raten und Menschenkenntnis bisher die einzigen einigermaßen verlässlichen Instrumente sind, einer ohnehin schon durch vieles benachteiligten Gruppe willkürlich weniger Glück zuzusprechen, ist unreflektiert oder bösartig.
Die erste Frage ist auch unbeantwortet, auch dort werden scheinbar logisch zwingend ein paar passende Axiome untergejubelt. Wir sind Menschen. Was für eine Ethik wir uns aussuchen, kann dem Universum erst einmal egal sein. Niemand zwingt uns,
irgendwelche Lebewesen als lebenswert anzuerkennen; angesichts unserer Entwicklung und Lebensumstände kann man nicht erwarten, dass wir
alle Lebewesen als lebenswert anerkennen, denn wir selbst leben ausschließlich von Lebewesen. Wir müssen töten, um zu überleben; nun stellt sich die Frage, was wir töten. Auf Bakterien und anderes Gewusel haben wir keinen Einfluss. Ameisen und Mücken werden von den wenigsten vermisst. Anthropozentrisch, wie wir sind, nehmen wir also eine Abstufung von Lebenswert gemäß Menschenähnlichkeit vor: Je menschenähnlicher, desto größer die Skrupel, ein Lebewesen zu töten. Wir folgen hierin in erster Linie unserem Instinkt.
Dieser Instinkt sagt aber nicht ausschließlich, dass das, was dem erwachsenen Menschen näher kommt, besser ist. Im Gegenteil: Wir haben auch den gegenteiligen Instinkt. Was klein, süß, harmlos, unschuldig, hilflos ist, das ist ebenfalls besonders schützenswert. Wir schützen unsere Jüngsten, und wir schützen unsere Welpen, Kätzchen, Kaninchen (wenn wir sie nicht gerade essen). Will man sich schon biologistisch orientieren - und letztlich ist ja die Konzentration auf personales Leben als höchsten Wert anthropozentrisch und instinktgesteuert - dann sollte man auch den Beschützerinstinkt mit einbeziehen, der uns sagt, dass zwar Personen den höchsten Wert haben, dass es aber besonders verwerflich ist, ohne Not wehrlose menschenähnliche Wesen zu töten.
Man könnte sich ebenfalls klarmachen, dass Menschen als soziale Wesen agieren und leben müssen. Resultierend aus ihrer graduell unterschiedlichen Hilflosigkeit sind gerade Behinderte und kleine Kinder besonders fest in soziale Netze eingebunden - sie könnten oft ohne diese nicht überleben. Somit würde ihr Schaden oder gar ihre Tötung aufgrund (ich betone es gerne noch einmal: völlig willkürlicher) abstrakter Nutzenüberlegungen wenn nicht bei ihnen, so doch gerade in ihrem Umfeld erheblichen Schaden anrichten.
Auch könnte man sich fragen, was denn den größeren Nutzenzuwachs bringt: Eine Maßnahme, die bei einer ohnehin schon sehr zufriedenen Person eine kleine Freude über einen neuen Flachbildschirm, Nagellack oder den zweiten Porsche auslöst, oder aber eine Maßnahme, die in einem leidenden Menschen eine intensive Linderung auslöst, somit einen intensiven Glückszuwachs. Ich behaupte, letzteres. Wenn es nicht darum geht, eine möglichst große Zahl von Individuen glücklich zu machen, sondern darum, ein abstraktes Glückziel zu erreichen, dann wäre es wohl rational und ethisch vertretbar, die glücklichste Stadt der Welt (z.B. Hamburg?) zu finden, ihr alle Reichtümer und Dienste zu Füßen zu legen und den Rest der Menschheit einem schnellen und schmerzfreien Exitus zuzuführen. Die Glück/Personenanzahl-ratio wäre dann extrem hoch, und man könnte sogar noch einen Bioethiker am Leben lassen, der sich dann dumm und dämlich freuen könnte über die erstaunlichen Resultate seiner rationalen und logisch widerspruchsfreien Ethik.