Sexismus, Sexualismus, ...?

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Traitor
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So 3. Feb 2013, 21:13 - Beitrag #1

Sexismus, Sexualismus, ...?

Parallelthread zum Brüderle-Sexismus-Thema, in den bitte alles zur konkreten Debatte und allgemeinen gesellschaftlichen Situation kommt.

Hier soll es, mit den aktuellen Geschichten höchstens als Beispiele, um eine abstraktere Frage gehen - vermengt der Begriff "Sexismus" nicht mehrere nur bedingt zusammengehörige Aspekte?

Zum einen steht "Sexismus" für "geschlechtsbedingte Diskriminierung", üblicherweise die Benachteiligung von Frauen, manchmal auch von Männern, mit durchaus statistisch angemessener Verteilung. Soweit analog zum "Rassismus". Nennen wir das temporär mal "Diskriminierungs-Sexismus". (Naheliegend wäre sowas wie "Genderismus", aber dann hat man gleich wieder die "Sex!=Gender"-Debatte am Hals, die mit dem hier diskutierten nur peripher zu tun hat.)

Zum anderen bezeichnet "Sexismus" aber auch "unangemessen sexuell aufgeladenes Verhalten", also sexuelle Witze, unerwünschtes oder kontextunangemessenes Anmachen oder auch handgreifliche Belästigung. Vielleicht könnte man das alternativ "Sexualismus" nennen. Diese Bedeutung ist an sich geschlechtsneutral, kann auch von Frauen gegen Männer, Männer gegen Männer oder Frauen gegen Frauen vorkommen, die allgemeine Fokussierung auf Männer gegen Frauen ist aber natürlich auch wiederum statistisch korrekt.

Allerdings hat diese zweite Bedeutung an sich erstmal nichts mit "geschlechtsbedingter Diskriminierung" zu tun. Ein unerwünschtes Anflirten ist an sich keine Diskriminierung, sondern einfach nur schlechter Stil. Ein Antatschen ist eine Straftat, aber auch erstmal keine Benachteiligung im wirtschaftlichen, Karriere- oder politischen Sinne. Beides wird natürlich zur Diskriminierung, wenn es (bewusst oder unbewusst) zur Herabwürdigung einer Person genutzt wird, die deren Status und/oder Perspektiven beschädigt - also eine geschlechtsgegebene Eigenheit (einfach nur das Geschlecht selbst) unfairerweise für eine schädigende Ungleichbehandlung nutzt.

In der Praxis ist diese Verbindung von "Sexualismus" und "Diskriminierungs-Sexismus" natürlich sehr oft der Fall. Aber wenn in der aktuellen Debatte beispielsweise Vergewaltigungen und "Mädchen können kein Mathe" in der gleichen Liste von Sexismus-Beispielen auftauchen, dann merkt man doch, dass da begrifflich etwas schief läuft...

009
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So 3. Feb 2013, 21:26 - Beitrag #2

Ich mag hier nur den vom Strafverteidiger Reiner Pohlen in seinem Blog verlinkten Beitrag einer Journalistin zu dem ganzen Komplex in die Runde werfen.

e-noon
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So 3. Feb 2013, 21:59 - Beitrag #3

Den Blog habe ich jetzt nicht gelesen, benötige ihn auch nicht für eine eigene Meinung. Selbige lautet: Ja, da wird einiges durcheinander geworfen. Ich denke allerdings schon, dass es gemeinsame Ursachen geben könnte. Das überholte, chauvinistische Bild, das manche Männer noch immer von Frauen haben, könnte sowohl für die Unterschätzung der Intelligenz von Frauen als auch für die Geringachtung des weiblichen Gegenübers als Freiwild verantwortlich sein.

Sexualismus - schmierige oder eindeutig ungewollte Anmachen, Komplimente, Blicke - sind sehr unangenehm. Sie sind auch Ausdruck eines strukturellen Problems - immer noch sind häufiger Frauen in der weniger machtvollen Position, und Männer offenbar leider stärker geneigt, ihre Macht gegenüber weiblichen Untergebenen zur Grenzverschiebung auch gegen den Willen des Gegenübers durchzusetzen.

009
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So 3. Feb 2013, 22:02 - Beitrag #4

Nur zur vermutlich noch nicht einmal wirklich nötigen Klarstellung: das ichhier nicht mehr schrieb, erklärte sich auch aus dem Parallelthread.
Und vielelicht auch, weil ich das, was für manche offenbar tatsächlich ein (ernstes) Problem darstellt, selber bzw. aus meinem Umfeld doch eher nicht kenne (ob es mir verborgen blieb oder verborgen werden sollte sei ggf. mal dahingestellt).

Traitor
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Mo 4. Feb 2013, 11:54 - Beitrag #5

@009: Der indirekte Links ist ganz interessant, passt aber besser nach nebenan.
Dass Männer das Problem nicht wahrnehmen, ist ja angeblich Teil des Problems. Dass das so sei, gehört auch nach nebenan, für hier relevant ist aber ein Teilaspekt: ist es auch ein Männerwahrnehmungsdefizit, zu unterschätzen, wie oft Sexualismus auch Diskriminierung bedeutet?

@e-noon: Gemeinsame Ursachen, nunja, im Grunde die Existenz der geschlechtlichen Fortpflanzung und des Sexualdimorphismus. ;) Als Hauptursache für Sexualismus, von beiden Geschlechtern aus, sehe ich nicht aktive Geringachtung des Gegenübers, sondern zu hohe interne Priorisierung von Sexualität gegenüber Achtung von Gegenübern als Person. Wenn man sich die Jugend- und Partykultur ansieht, ist das auch bei Frauen nicht gerade unverbreitet. Vielleicht sind sie nur besser darin, dies situationsbezogen umzugewichten.
Direkte geschlechtliche Diskriminierung ("direkt" im Sinne von "nicht aus sexualistischem Mobbing folgend") dagegen ist auf einer höheren kognitiven Ebene angesiedelt und hat deutlich komplexere Ursachen, vermutlich auch einen höheren anerzogenen Anteil.

Ipsissimus
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Mo 4. Feb 2013, 15:08 - Beitrag #6

als einfach gestrickter Mensch sehe ich da im wesentlichen zwei relevante Umstände. Da ist zum einen die biologische Komponente. Ein nicht unerheblicher Teil der Kritik an Sexismus liest sich für mich wie Empörung darüber, dass die Natur / die Evolution es wagte, uns in zwei Geschlechtern anzulegen, die einander in begehrender Spannung gegenüber stehen. Der Umgang mit Begehren scheint problematisch zu sein, sobald es nicht unser eigenes Begehren ist.

Daraus resultiert zwanglos Punkt zwei: die Vermittlung eigenen Begehrens kann respektlos oder respektvoll erfolgen. Wirklich valide Kriterien für das eine oder andere scheinen nicht im Sinne messbarer Größen festlegbar zu sein. Damit ist die Position der Seite, die den Übergriff empfindet, vorrangig, aber nicht kritiklos, zu werten.

Alles, was über diese zwei Punkte - Biologie und ihre kulturelle Vermittlung - hinaus geht, sehe ich eher unter dem Aspekt Gleichberechtigung / Emanzipation untergebracht.

009
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Mo 4. Feb 2013, 16:51 - Beitrag #7

Joah, der Link kann sowohl zur konkreten Brüderle-Petitesse wie zu einer generellen Erörterung des Themas passen.

Wahrnehmungsdefizite bei sexualisierenden Diskriminierungen könnenw ohl daran liegen, dass Mann es nicht so leicht bemerkt (bemerken will?) und Frau es teils als leider so normal empfindet, dass es im Rausch mancher Dinge einfach untergeht.

So wurde mir erst jetzt wieder klar, dass ich sehrwohl von Beispielen weiss, auch welchen, wop die Machtverhältnisse ganz anders und wohl relevanter sind als bei Brüderle.

Es geht um einen Uni-Professor, von dem mir zwei Vorfälle hinreichend bekannt sind. Einmal wurde einer durchaus selbstbewußten und auch Lehrmeinungen hinterfragenden Studentin vor einer mündlichen Prüfung letztlich ohne Anlaß mal die Worte, Frauen, die Probleme mit Autoritäten hätten, seien ja potentielle Vergewaltigungsopfer, entgegengeschleudert. In einer anderen mündlichen Prüfung wirde die Leistung einer anderen Studentin als schon gut gelobt, aber bedauert, dass sie die ganze Zeit hinter Pult und Overhead-Projektor gestanden hätte, so daß ihre schönen Beine gar nicht zu sehen gewesen sein.
Zumindest letzteres empfinde ich als No-Go und mind. justiziable Beleidigung.

Was ich mir wünsche und passend dazu für mich hoffe: das Frauen deutlich machen (nicht nur dirch ignorieren bei Ansprache oderbei Schriftwechsel verstummen oder nur noch belangloses antworten), wenn sie etwas als grenzwertig oder vollkommen daneben empfinden, denn so wird zumindestens dem Mann ganz klar gezeigt, dass es so nicht geht. Und für michhoffe ich, bei Konatkten/Ansprachen zu anderen immer taklvoll zu bleiben und hinreichend früh und klar zu erkennen, wenn mehr nicht gewünscht ist.

Überd em Schreiben fallen mir nun noch zwei Dinge aus meiner Uni-Zeit ein, wo mich durchaus attraktive nette Studen_ten_ auf eine Art ansprachen, Kontakt suchten, der mich irritierte. Mit einer Reaktion der Art ich muß aber da lang, interessantes Thema, aber nichts, womit ich mich beschäftigen möchte, konnte ich diese Kontaktsuche jeweils problemlos beenden. Mindestens in einem der Fälle erfuhr ich danach sicher, dass es homosexuelle waren, die möglicherweise daher Kontakt suchten - auf eine Art, die vor allem wegen ihrer mir leicht möglichen Beendbarkeit ich als vollkommen in Ordnung empfand.

Maglor
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Mo 4. Feb 2013, 21:50 - Beitrag #8

Ich lasse dann zur Abwechslung die kafkaeske Universallegende von der "kleinen Frau" sprechen:
[INDENT]
Mag einer als Junge einen etwas lauernden Blick gehabt haben, er ist ihm nicht übelgenommen, er ist gar nicht bemerkt worden, nicht einmal von ihm selbst, aber, was im Alter übrigbleibt, sind Reste, jeder ist nötig, keiner wird erneut, jeder steht unter Beobachtung, und der lauernde Blick eines alternden Mannes ist eben ein ganz deutlich lauernder Blick, und es ist nicht schwierig, ihn festzustellen. Nur ist es aber auch hier keine wirkliche sachliche Verschlimmerung.

Von wo aus also ich es auch ansehe, immer wieder zeigt sich und dabei bleibe ich, daß, wenn ich mit der Hand auch nur ganz leicht diese kleine Sache verdeckt halte, ich noch sehr lange, ungestört von der Welt, mein bisheriges Leben ruhig werde fortsetzen dürfen, trotz allen Tobens der Frau.
[/INDENT]

Eines der Grundprobleme ist, dass sich erwachsene Männer nicht pubertär verhalten dürfen, aber es auf der anderen Seite eben doch müssen. :rolleyes:

Traitor
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Di 5. Feb 2013, 11:17 - Beitrag #9

Zitat von Ipsissimus:als einfach gestrickter Mensch
Ich wage es einfach mal, dir hier eine klare Lüge zu unterstellen. ;)

Der Umgang mit Begehren, bzw. das Heraushalten des Begehrens aus vielen Umgangsformen, ist natürlich ein wesentlicher Bestandteil aller Zivilisationsformen. Umgekehrt sind aber auch die Möglichkeiten der Begehrensbekundungsabweisung zivilisatorisch eingeschränkt (das im Tierreich beliebte Wegbeißen gilt beispielsweise als eher undamenhaft), was dann sogar zu solchen Absurditäten führt, wie dass es peinlich sein soll, ein unerwiderte Begehren zurückzuweisen.

Und die sozial akzeptierten Umgangsformen in diesem Bereich müssen auch immer wieder neu verhandelt werden, wofür vielleicht ein gelegentliches Skandälchen gar nicht mal so schlecht ist.

Ipsissimus
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Di 5. Feb 2013, 12:57 - Beitrag #10

Ich wage es einfach mal, dir hier eine klare Lüge zu unterstellen. Bild
Protest^^ ich empfinde mich als einfach zu verstehen und zu handhaben^^

das im Tierreich beliebte Wegbeißen gilt beispielsweise als eher undamenhaft
die menschliche Haut ist auch viel zu zäh und der menschliche Zahnapparat viel zu schwach ausgeprägt, als dass sich Damen im Allgemeinen die Mühe machen würden, auf den Knochen durchzubeißen^^ das wäre richtige Arbeit^^

Traitor
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Di 5. Feb 2013, 20:31 - Beitrag #11

Das mag sein, aber deine üblicherweise gezeigte Gedankentiefe möchte ich doch, ganz schleimerisch, nicht als die eines "einfach gestrickten Menschen" eingeschätzt stehen lassen. ;)

Ach ja:
Zitat von 009:Wahrnehmungsdefizite bei sexualisierenden Diskriminierungen könnenw ohl daran liegen, dass Mann es nicht so leicht bemerkt (bemerken will?) und Frau es teils als leider so normal empfindet, dass es im Rausch mancher Dinge einfach untergeht.
Das zweite "es" hier das Verhalten von Mann oder Frau? Positiver oder negativer Rausch?

009
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Di 5. Feb 2013, 22:30 - Beitrag #12

Das zweite es auch sexualisierte Diskriminierungen von Frauen durch Männer.
Überlastender, also negativer Rausch, sprich es erscheint manchen als so üblich/normal/unabänderlich wohl, dass es gar nicht als absolut inakzeotable herausragende Sache erlebt und weiterkommuniziert wird. Drum kam ich auf die Beispiele im Umfeld erst, als ich auch da über die aktuelle Debatte sprach und von den Vorfällen erfuhr. Gingen vorher unter bzw. nur an Rande erwähnt worden.

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Mi 6. Feb 2013, 23:36 - Beitrag #13

Zu den Abwehrmöglichkeiten gegen sexuelle Belästigung am Arbeistplatz findet sich einiges bei der SZ. Auch wenn Recht haben und kriegen mitunter viele Anstrengung auseinander sind und vor Gericht bekanntlich nur Recht gesprochen wrd, was nur teilweise der Gerechtigkeit gleich kommt, bestehen für belästigte dich einige Optionen. Bis hin dazu, bei vollem gehaltsanspruch die Arbeit verweigern zu dürfen, wenn der Arbeitgeber selber Quell der Belästigung ist oder nicht wirksam gegen diese interveniert.

Maglor
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Do 7. Feb 2013, 21:00 - Beitrag #14

Letztes Jahr stand ich in der Schlange zur Kasse in einem Laden und wollte ein in grellen Farben kariertes Hemd kaufen. Da sagte eine Dame - sexistisch besser ausgedrückt "eine schrumpelige Alte" - zu mir, ich könne sowas bei meiner Figur/Größe ja tragen.

War das jetzt Sexismus?

Ist mir damals gar nicht aufgefallen, aber man lernt ja nie aus.

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Do 7. Feb 2013, 21:12 - Beitrag #15

Wohl nur die, die Dich (näher) können und einen Sinn für Mode/das Äußere haben können wohl beurteilen, ob dies nicht ggf. blos eine mögliche Kaufdissonanzen reduzierende Deine Kaufentscheidung als nachvollziehbar einstufende Bemerkung.

Maglor
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Do 7. Feb 2013, 21:17 - Beitrag #16

Dirndl würde ich aber vielleicht auch ausfüllen oder zum platzen bringen. ;)

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Do 7. Feb 2013, 21:28 - Beitrag #17

Zumindest mit der Kompetenz eines für viele Urlaube Zuagroasten, der nicht nur die Folklore-mäßigen Dirndl der Touristen, sondern auch viele Dirnds-varianten der jeweils historisch überlieferten Trachten kennt sei folgendes gesagt. die gibt es durchaus auch immer in passend, also verschiedenen Konfektionsgrößen. Und je nach konkreter Trachtenversion stehen die auch mal mehr eher schlanken wie mal mehr raumgreifenden Damen.

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Fr 15. Feb 2013, 00:17 - Beitrag #18

Ein in der Zeit interviewter Mediator stellt heraus, das (wie wohl so oft) Reden nötig ist und helfen kann und es zudem eben auch Sexismus gegen Männer gibt:
Walter: Zuerst müssen sich beide Seiten über ihre Interessen klar werden: Was genau hat mich verletzt? Welche Befürchtungen und Wünsche habe ich? Und was will ich jetzt eigentlich? Diese Fragen muss jeder für sich selbst beantworten. Dann wirke ich auf einen Perspektivenwechsel hin.

ZEIT: Wie meinen Sie das?

Walter: Oft gibt es Missverständnisse. Nehmen wir das Beispiel einer Mitarbeiterin, die sich von ihrem Vorgesetzten belästigt fühlt, weil er sich sehr dicht neben sie setzt, sie mal am Arm berührt und ihr sagt, sie sei hübsch angezogen. Der Chef will damit vielleicht nur für eine lockere Atmosphäre sorgen, für die Frau aber ist es eine Grenzüberschreitung. Er interpretiert ihr schweigendes Lächeln als Einverständnis, während es für sie ein Ausdruck ihrer Peinlichkeit ist und sie nicht weiß, wie sie eine Grenze ziehen kann, ohne ihren Chef zu brüskieren. Wenn man es schafft, dass sich die Betroffenen in den jeweils anderen hineinversetzen, dann können solche Konflikte oft gut gelöst werden. Wenn so etwas in einem Unternehmen zum ersten Mal passiert, werden danach meist Regeln für den weiteren Umgang miteinander aufgestellt und klare Grenzen festgelegt.


ZEIT: Wird das Arbeitsklima denn wirklich besser, wenn man den persönlichen Umgang in ein Regelkorsett presst?

Walter: Das ist ganz stark davon abhängig, wie diese Regeln zustande gekommen sind. Wenn sie einfach von oben vorgegeben werden, können sie das Arbeitsklima verschlechtern. Wenn sie aber aus einem Dialog zwischen den Betroffenen entstanden sind, dann können Regeln das Arbeitsverhältnis verbessern. Viele Männer können sogar erst danach entspannt mit ihren Kolleginnen ein Bier trinken gehen, Witze machen oder ihnen auch mal freundschaftlich auf die Schulter klopfen. Denn dann ist die Unsicherheit weg, was erlaubt ist und was nicht. Und das Vertrauen da, dass das Gegenüber Bescheid gibt, wenn etwas schräg ankommt.


Denn dabei wird vergessen, dass es auch noch ganz andere Formen von Sexismus gibt – unter Männern zum Beispiel. Beim Betriebssport wird sich etwa über weniger sportliche Kollegen lustig gemacht. Oder es wird am beruflichen Engagement gezweifelt, wenn Männer Vaterschaftsurlaub nehmen oder wegen der Krankheit ihrer kleinen Kinder zu Hause bleiben. Oder nehmen Sie die Situation auf der Herrentoilette: Für viele Männer ist es belastend, wenn sie neben einem Kollegen – womöglich gar neben einem Vorgesetzten – am Pissoir stehen. Einige werden da zu sogenannten Harnstotterern und können nicht mehr pinkeln. Wie verbreitet Sexismus gegen Männer ist, zeigen auch allgemein übliche Beleidigungen wie »Weichei« und »Schlappschwanz«.

ZEIT: Klischeehafte Witze sind allerdings trotzdem eher aus dem Mund von Männern zu hören.

Walter: Das war früher so, ändert sich aber gerade rasant. Männerfeindliche Witze und Werbung sind seit einiger Zeit en vogue. Und: Es ist bei Weitem nicht so, dass sich alle Männer in der Rolle des derben Zotenreißers gefallen. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich auch viele Männer in männlich dominierten Kreisen, in denen solche Gespräche geführt werden, unwohl fühlen.


ZEIT: Gibt es auch Sexismus von Frauen gegenüber Männern?

Walter: Ja, aber es gibt bisher kaum ein Bewusstsein dafür. Nehmen wir die häufig vorkommenden Fälle aus dem Kindergarten, wo Eltern oder Erzieherinnen die Kompetenz ihrer wenigen männlichen Kollegen aus dem Geschlecht ableiten. Das klingt manchmal harmlos, etwa wenn gesagt wird: Geh doch du mit den Jungs Fußball spielen, du bist doch ein Mann. Wenn man umgekehrt sagen würde: Koch du doch mit den Mädchen, du bist eine Frau, dann gäbe es einen Aufschrei! Hinter beidem steckt aber das gleiche Argumentationsschema, der gleiche Sexismus.

ZEIT: Wie sieht es mit körperlichen Übergriffen aus?

Walter: Es gibt Studien, die zeigen, dass es auch Männer gibt, denen es unangenehm ist, wenn sie im Gespräch von Frauen berührt werden. Männer würden deswegen aber nicht sagen, dass sie belästigt wurden, weil im öffentlichen Bewusstsein sexuelle Belästigung nur umgekehrt stattfindet, also von Männern gegenüber Frauen. Übergriffiges Verhalten und Sexismus gibt es aber in der Arbeitswelt in beide Richtungen.


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