Franz(iskus) I.

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Traitor
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Mi 13. Mär 2013, 23:06 - Beitrag #1

Franz(iskus) I.

Der Neue: Jorge Mario Bergoglio (76) aus Buenos Aires, Papstname Franciscus / Francisco / Francis / Francois / Franziskus. Letzteres die von (fast, s.u.) allen deutschsprachigen Medien (inklusive des wohl als offizielle Quelle anzusehenden Radio Vatikan) gewählte Variante. Was für mich die erste Frage aufwirft - warum nicht schlicht und ergreifend Franz? Beim heiligen Vogelmann aus Assissi sagt doch auch niemand Franziskus. ("fast": Gegenbelege für "Franz I." spontan zumindest nur bei Westfalenpost und katholisches.info)

Neben der I im Namen ist die geographische Herkunft natürlich eine gewisse Überraschung, wenn auch eine mildere Variante als ein Brasilianer oder gar Afrikaner. Für die Analyse politischer, persönlicher und theologischer Aspekte überlasse ich erstmal anderen die Recherchearbeit.

Edit: lustige Google-Funde zu "Papst Franz I.", bevor dazu wie zu Franziskus nur noch relevantes zu finden ist: Spaß mit Liechtenstein, Spaß mit uneindeutiger Grammatik)

Maglor
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Mi 13. Mär 2013, 23:31 - Beitrag #2

Dein Einwand ist richtig, zumal auch bei den Vorgängern im deutschen Sprachraum keine lateinischen Namen sondern die gekürzten eingedeutschen verwendet wurden, also nicht Johannes Paulus II. und Benedictus XVI.

Der kurze, seit einigen Jahren eher unpopuläre Vorname Franz klingt irgendwie provinziell und überhaupt nicht vornehm, trotz oder gerade wegen der gleichnamiger Habsburger. (Zugegebenermaßen war auch Franz von Assisi wenig vornehm.) :rolleyes:
Am Ende wirkt sich zeigen, welche Form sich durchsetzt. Meist obsiegt da ja die Tagesschau, hier könnte aber auch die Kirche selbst die Initiative ergreifen - hat sie ja bereits.

Zur Herkunft:
Der neue Franz kommt zwar aus Argentinien, stammt aber von italienischen Einwanderern ab, was irgendwie wenig spanisch, aber bedeutsam daherkommt.

Traitor
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Mi 13. Mär 2013, 23:36 - Beitrag #3

Nunja, immerhin "Benediktus" wäre ja noch das Äquivalent, "Franciscus" verwenden sie ja nicht. Und wäre es nicht ganz im Sinne des Kulturimperialismus, Südamerikaner als provinziell erscheinen zu lassen...?

Dass die Tagesschau Begriffsprägungshoheit hat, ist mir noch nicht signifikant aufgefallen, gibt es dazu Untersuchungen?

Edit: Nächster Google-Fund: Bezeichnenderweise liefert Google Books, wo man vor Tagespresse erstmal sicher ist, für "Franziskus I." als die ersten beiden Ergebnisse schonmal vorsorglich "Leichengedicht für Franziskus I." und "Oratorium zum Ableben Franziskus I.". Mal sehen, wie lange das sich hält...

Ipsissimus
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Mi 13. Mär 2013, 23:50 - Beitrag #4

"Franz von Assissi" verwende ich eigentlich nie, "Franziskus" nur selten. Giovanni Battista wurde von Babybeinen an "Francesco" gerufen, die KK latinisierte den Namen dann zu "Franciscus" und gab ihm damit einen offiziellen Nimbus.

egal^^ es gibt schlechtere Namen in der Geschichte der Heiligen^^ und da auch Ratzinger immer nur Joseph war, bleibt der Neue eben Jorge^^ viel wichtiger scheint mir, dass er wohl auch nur ein Übergangspapst ist, mit 76 dürfte er seine besten, zumindest aber leistungsfähigsten Jahre wohl schon hinter sich haben. Sprich: auch von ihm sind kaum ernsthafte und tiefgreifende Reformen zu erwarten. Und selbst wenn er sich für soziale Reformen eingesetzt hat, dürfte er noch nicht mal zu den Befreiungstheologen zu rechnen sein. Für Leute, die auf Modernisierung gehofft hatten, erst mal eine glatte Enttäuschung.

Lykurg
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Do 14. Mär 2013, 09:59 - Beitrag #5

Schöner Threadanfang, genau die Frage der Eindeutschungsprovinzialitätswirkung stellte ich mir auch.^^ Sein Berührungsfeld mit Kaiser Franz dürfte aber eher gering sein. Der Name wirft Hoffnungen auf - der erste komplett 'neue' seit Lando (nicht der mit der Wolkenstadt), und eben die Hinweise auf - ja, ich würde auch Franz von Assisi sagen... - die auch in seiner Biographie zu findende Bescheidenheit und sein soziales Engagement, irgendwo hieß es auch, ökologisches Bewußtsein (wäre ja auch passend). Ein nettes Detail am Rande war auch, daß sein Segen den Zuschauern an alle Zuschauer über Rundfunk, Fernsehen und "neue Technologien" gerichtet war.

Nebenbei der erste Nichteuropäer seit 1500 Jahren, ich freue mich besonders, daß es kein Italiener geworden ist - gerade der als Favourit gehandelte, überaus mächtige Kardinal Tarcisio Bertone hatte mich optisch - ein wenig - erschreckt. Allerdings mischen sich auch Mißtöne in die Begeisterung, was Franz' Verhältnis zur argentinischen Militärdiktatur angeht. Wikipedia berichtet da einiges, es gab auch vor zwei Jahren einen rückblickenden Kommentar im Standard, der nun neue Aktualität gewinnt. Ist die Frage, ob er sich als Papst nochmal zu seiner Verstrickung äußert, eventuell könnte es sogar der Aufarbeitung des Landes dienlich sein.

Edit: Ein Vatikansprecher hat verkündet, daß die Nummer nicht Teil des Namens ist; die kommt also erst dazu, wenn es einen weiteren gibt. Infosfern kann die Google-Suche nach "Franziskus I." bis auf weiteres gar keine passenden Treffer bringen. ;)

Lykurg
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Do 14. Mär 2013, 18:32 - Beitrag #6

Mein rein optisch begründetes Mißtrauen gegen Kardinal Bertone wird übrigens vom Spiegel geteilt: Offenbar hat er Anteil an der Verschleierung von Geschäften der Vatikanbank, die anscheinend auch Diktatorenvermögen und Mafiagelder sicher unterbringt. Paßt insofern bestens zur Sonnenbrille. Bild

Traitor
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Do 14. Mär 2013, 19:27 - Beitrag #7

Zitat von Ipsissimus:"Franz von Assissi" verwende ich eigentlich nie, "Franziskus" nur selten.
Was dann?

Zitat von Ipsissimus:Und selbst wenn er sich für soziale Reformen eingesetzt hat, dürfte er noch nicht mal zu den Befreiungstheologen zu rechnen sein.
Als letzterer hätte er wohl auch keine Chance gehabt. Und dafür ist Argentinien auch nicht Dritte Welt genug, daher mein Kommentar, er sei die mildeste "exotische" Wahl.
Immerhin gibt es von ihm Zitate zu Armut und Güterungleichverteilung, die deutlich direkter sind als alles seiner Vorgänger. Es könnte also durchaus sein, dass er zumindest dem Etikett nach einen Wechsel der kirchlichen Prioritäten hin zu mehr sozialem Ausgleich einleitet. Ob er damit dann langfristig als Wegbereiter oder nur als Verharren erlaubendes Vorzeigeprojekt dient, wird am Nachfolger hängen.

@Lykurg:
"Komplett" neu heißt bei dir anscheinend auch "keine Kombination von 2 Alten", weitere
Ausschlusskriterien? Gab es tatsächlich gar keinen "I." (bzw. Nummernlosen, s.u.) seit Lando?

Weniger Italiener ist für weniger Korruption fast immer ein guter Anfang.

Zitat von Lykurg:Ein Vatikansprecher hat verkündet, daß die Nummer nicht Teil des Namens ist] Dass sich die Medien daran halten, darf stark bezweifelt werden.

PS: Dieses Zitat meinte ich:
"Die ungleiche Verteilung der Güter schafft eine Situation sozialer Sünde, die zum Himmel schreit - und so vielen Brüdern und Schwestern die Möglichkeit eines erfüllteren Lebens vorenthält", sagte er bei einem Treffen lateinamerikanischer Bischöfe im Jahr 2007.
(Quelle=SpOn)

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Fr 15. Mär 2013, 11:02 - Beitrag #8

@sozial: Habe an verschiedenen Stellen gelesen, daß er als volksnah gilt, Sozialarbeit in den Favelas gemacht hat und sich deutlich gegen Ungleichverteilung einsetzt. Darüber hinaus lebte er privat bescheiden, in einer kleinen Wohnung anstatt im Bischofspalast, hatte kein Auto, sondern nutzte öffentliche Verkehrsmittel und unterhielt sich mit den anderen Fahrgästen. Wieweit das nun real oder PR ist, weiß ich nicht, lokale Medien sprechen allerdings dafür.

@Name: Ja, seit Lando waren alle Namen Wiederaufgriffe, Johannes Paul I. indirekt auch: Er hat die Namen seiner beiden Vorgänger, denen er beiden verbunden war, fusioniert. Namensübernahme zeigt oft Wiederaufgreifen eines historischen Programms bzw. Vorbilds, oder ist eine Reverenz an denjenigen Vorgänger, von dem 'man' zum Kardinal ernannt wurde; nichttraditionelle Namen sind verpönt genug, daß laut einer dubiosen Anekdote JP II. von den anderen Kardinälen überredet wurde, sich nicht 'Stanislaus' zu nennen (nach dem polnischen Nationalheiligen). Andererseits gilt der vor dem 2. Weltkrieg gern verwendete 'Pius' aufgrund des zögerlichen Verhaltens von XII. als nicht mehr erwünscht, und diverse historische Programme sind derzeit einfach weniger dringlich, so daß ein neuer Name offenbar jetzt doch nötig war.

Übrigens ist er auch deshalb der erste nummernlose seit Lando, weil JP I. als bislang einziger Papst schon zu Lebzeiten und entsprechend ohne Namensnachfolger als "I." bezeichnet werden wollte. Naja, Präzedenzfälle fehlen auch deshalb, weil die heutige Zählgepflogenheit erst um 1000 in Mode kam. Vorher wars komplizierter, da sprach man, wenn man überhaupt unterscheiden wollte, von 'junior' und weiter: 'junior secundus'... Entsprechend kam es auch zu diversen Zählfehlern, die meistens nicht mitgezählten Gegenpäpste machens nicht gerade einfacher. (Wäre eigentlich die Frage, wie sich das mit dem Unfehlbarkeitsdogma verträgt.^^)
Zitat von Wikipedia - Papstname:Johannes XXIII. bezog sich vielleicht nicht nur auf Johannes den Täufer, den Namenspatron seines Vaters sondern sogar auf seinen Nachfolger, Johannes Baptist Montini, dem er die Wahl zum Papst [Paul VI., Anm. v. Lykurg] sorgfältig vorbereitete. Mit dieser ebenso überraschenden wie auch „humorvollen“ Wahl wurde die Verwirrung um die richtige Zählung der Johannes-Päpste um ein Problem reicher: Es gibt jetzt unter den Papst-Portraits in S. Paolo in Rom zweimal Ioannes XXIII. (aber keinen XX., s.u.). Die historisch „korrekteste“ Zahl für Angelo Roncalli [=XXIII. (2), Anm. v. Lykurg] wäre wohl „Johannes XXI.“ gewesen, jedoch werden frühere Zählfehler mitunter übernommen, so auch von Konzilspapst Martin V. (Der nächste Johannes „hätte“ die Wahl, ob er der zweite XXII. (bei Komplettkorrektur), der dritte XXIII. (bei Korrektur des fehlenden XX.) oder der erste XXIV. sein oder unter Rehabilitierung des Pisaner „Gegenpapstes XXIII.“ sogar der XXV. sein will.)

Ipsissimus
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Fr 15. Mär 2013, 13:43 - Beitrag #9

"Francesco", seinem Rufnamen entsprechend

mildeste "exotische" Wahl
Der Mann ist Jesuit, und die sind für alles bekannt, nur nicht für ihre progressiven oder exotischen Neigungen. Wenn du daher "mild" als Kürzel für "unbedenklich hinsichtlich der Gefahr, dem extrem-konservativen Flügel der Kurie das Macht-Kalkül zu versauen" verwendest, stimme ich zu. Unter anderem deswegen sprach ich ja eingangs von einer Enttäuschung. Sein persönlicher Lebensstil ist dabei völlig irrelevant. Und solange seine Rolle in der Junta nicht geklärt ist, halte ich es ohnehin für voreilig, über ihn das hohe Lied der Tugend anzustimmen.

Lykurg
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Fr 15. Mär 2013, 14:38 - Beitrag #10

Und wenn sie dann doch für exotische Neigungen bekannt werden, gibts gleich einen großen Skandal, wie am Canisius-Kolleg. (scnr)
Aber ja, das mit der Rolle in der Juntazeit bleibt ein Problem, das wohl auch die Ehrenerklärung des einen Opfers nicht ganz ausräumen kann. Nicht Stellung nehmen zu können, ist kein 'Freispruch', und offensichtlich fehlen ausdrückliche Distanzerklärungen Bergoglios in der betreffenden Zeit (die allerdings sicher gefährlich gewesen wären).

Erzkonservative Positionen sind von ihm jedenfalls hinsichtlich der katholischen Sexuallehre (insbesondere Verhütungsverbot und Einstellung zur Homosexualität) zu erwarten - in beidem hat er sich offenbar immer wieder eindeutig geäußert. Alles andere wäre aber auch eine zu große Überraschung gewesen...
Immerhin hat er anscheinend Humor, sowohl die Bemerkung vom Balkon als auch sein kolportiertes "Möge Gott euch vergeben, was ihr getan habt" direkt nach der Wahl zeigen eine gewisse Eigenständigkeit, einen frischen Wind.

Ipsissimus
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Fr 15. Mär 2013, 14:45 - Beitrag #11


Traitor
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Sa 16. Mär 2013, 10:15 - Beitrag #12

@Ipsissimus: Dann auch "d'Assisi"? Gerade bei historischen Personen halte ich Eindeutschungen durchaus für beibehaltenswert.

"Mild" in genau diesem Sinne, ja.
Den persönlichen Lebensstil halte ich auch für irrelevant bis erfunden, spannend finde ich vor allem das genannte Zitat: "die ungleiche Verteilung ist eine Sünde" ist etwas ganz anderes als ein "ach die armen kleinen Bettlerchen, lasst uns doch großzügig sein und ihnen ein bisschen helfen". Aber um zu sehen, wie ernst er es damit meint, müsste man seine theologischen und politischen Positionen deutlich detaillierter untersuchen - oder abwarten, was er in seiner neuen Position von sich gibt.

Mit der Juntavergangenheitsbeurteilung bin ich mir noch uneins. Einerseits erscheint es mir sehr glaubhaft, dass ein rechter Kleriker relativ freudig mit einer rechten Diktatur kooperierte, und so dreckig wie diese Diktatur war, möchte ich ihn gerne dafür verurteilen. Andererseits würde ich sagen, dass deren Verbrechen nicht so massiv und öffentlich waren wie bei den Nazis, dass reines Nichtwiderstandgeben auch schon vollauf verwerflich wäre - also weiterhin ein schwerer Charaktermakel, aber keine eindeutige Disqualifikation für spätere Ämter. Wenn jedoch wiederum die persönlichen Vorwürfe korrekt sind, ist dieses "allerdings" hinfällig. Spannend wird es somit, zu sehen, ob die argentinische Justiz den Mut hat, den Fall jetzt noch weiter aufzuklären.

@Lykurg: Die modernen Entwicklungen waren mir klar (inkl. JoPaul, auf den ich mit der "Kombination" ja auch schon anspielte), nur hatte ich doch irgendwie erwartet, dass es im MIttel- bis Spätmittelalter nochmal eine I hätte geben müssen. Jetzt habe ich auch endlich mal selbst in die Liste gesehen, tja, Theodoricus (1100) und Albertus (1102) konnten sich leider nicht durchsetzen. ;)

Die "eleganteste" Lösung für die Verschleppungsgeschichte wäre natürlich, wenn Franz Jalics vor Franz Dem(noch?)nichtersten stirbt und letzterer ersteren anlässlich dessen beeindruckender Meditationserfahrungen und zum Dank für sein Vergeben heilig spricht...

Lykurg
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Sa 16. Mär 2013, 13:16 - Beitrag #13

Die Verbrechen der Juntazeit waren massiv und relativ öffentlich, ich finde die Glaubwürdigkeit seiner Verteidigung, er habe wenig Kontakte gehabt, eher mäßig. Noch wichtiger wäre für mich allerdings, was er jetzt daraus macht, wie und ob er nochmal dazu Stellung bezieht und die Aufarbeitung in Argentinien voranbringt. Gewählt ist nunmal gewählt, ein Rücktritt aus solchen Gründen kommt mE nicht infrage. Was ist das denn schon gegenüber Päpsten vergangener Zeiten, die vergleichbare Foltermaßnahmen und Kriege selbst anordneten bzw. führten...

Ich überlegte schon, ob die Namenswahl Franziskus auch auf Jalics in gewisser Weise bewußt Bezug nimmt, ob Bergoglio damit diesen Teil seines Lebens reflektieren und Verantwortung zeigen wollte. Ggf. ein Seligsprechungsverfahren für Jalics einzuleiten, würde zeitlich wohl schwierig, normalerweise wird das erst frühestens fünf Jahre nach dem Tod eingeleitet, Ausnahmen gab es zuletzt für Mutter Teresa und für JP II. Ich denke, ihn in argentinischer Manier zu schneller Zielerfüllung durch Op[size=75]us-Dei[size=75]-Fachkräfte [/size]liquidieren zu lassen, wäre eher kontraproduktiv.[/size]

Bescheidenheit als Charaktermerkmal finde ich durchaus nicht irrelevant, und bezogen auf seine bisherigen Lebensverhältnisse wird das von vielen Seiten kolportiert bzw. hat bislang keinen Widerspruch gefunden. Der Verzicht auf Dienstwagen ist jedenfalls jetzt schon sichtbar geworden. Relevant wird es für die Amtsführung besonders, wenn man bedenkt, wie sich in gerade mal einem halben Jahrhundert der vatikanische Prunk geändert hat. Ich empfehle hier - ggf. nur als Querlektüre - den Wikipediaartikel zur Papstmesse. Die Papstkrone, der Tragsessel, Fußkuß etc. sind innerhalb von gerade mal fünf Päpsten abgeschafft worden (mit kleinen Rückschritten unter Benedikt XVI.) - und anscheinend geht es jetzt weiter.
Zitat von Stuttgarter Nachrichten:Immerhin hat er am Abend zuvor das „Armdrücken“, wie es italienische Zeitungen nennen, mit dem vatikanischen Zeremonienmeister Guido Marini gewonnen: „Sie müssen, Heiliger Vater, für den Urbi-et-orbi-Segen den roten Umhang mit dem Hermelinbesatz umlegen“, hatte Marini ihm gesagt: „Und das goldene Brustkreuz, schauen Sie, das haben wir schon vorbereitet.“ Bergoglio trat ohne Umhang auf die Loggia des Petersdoms, im päpstlich weißen, aber protokollwidrig schmucklosen Talar. Und das goldene Brustkreuz ließ er in der Schatulle. Seit er Bischof sei, beschied er den Zeremonienmeister, trage er eines aus Eisen. „Und das trage ich auch heute.“
Außerdem hat er die Argentinier dazu aufgerufen, nicht zu seinen Ehren nach Rom zu reisen, sondern die Kosten für den Flug lieber den Armen zu spenden. Finde ich soweit sehr gute Ansätze.

Edit: Umfassend gegenan ein Interview in der taz, das seine Gesten als Berechnung bezeichnet und ihm erhebliche Junta-Verstrickung nachweist bzw. unterstellt.

janw
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So 17. Mär 2013, 12:52 - Beitrag #14

Hm hmh, das Interview in der taz ist sehr aufschlussreich, danach ist für die reformorientierten Bestrebungen schon aus persönlicher historischer Kontinuität nichts Gutes zu erwarten. Mag sein, daß er etwas in der Kurie aufräumt.

Was die Frage der kontinentalen Zugehörigkeit betrifft, bin ich mit mir uneins, ist die von europäischen Einwanderern abstammende Gesellschaftsschicht in Lateinamerika so viel anders als wir Europäer, daß man in der Wahl etwas Neues erkennen kann? Müsste nicht ein "echt südamerikanischer" Papst jemand mit Indio- oder vielleicht noch Sklaven-Herkunft sein?

Bezüglich seines Namens wird eines in den Medien immer übersehen: Franziskus ging es vor allem darum, ein Leben analog der Jesus-Nachfolge zu führen, der Einsatz für Arme und gesellschaftlich Ausgegrenzte war da zwangsläufig.
Das könnte allerdings auch Spielraum bieten für Neuerungen - der Zölibat geht nicht auf Jesus zurück, und wäre ihm wohl auch nicht in den Sinn gekommen. Betrachtet man Maria Magdalena, dann könnte darin durchaus eine Begründung für ein Frauen-Priestertum liegen.
Bergoglio hat sich bisher stets gegen diese Fragen gestellt, vielleicht nur, um nicht in Opposition zu Jopi und Benedikt zu geraten - und zur Macho-Gesellschaft seines Landes?

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So 17. Mär 2013, 14:51 - Beitrag #15

Ich weiß nicht - einerseits vertritt das Interview klar eine papstkritische Position, das Medium, das sie verbreitet, ebenfalls. In meinen Augen handelt es sich dabei um eine Erweiterung des Meinungsspektrums, aber nicht unbedingt um letztgültige Aussagen. Insbesondere der letzte Absatz zu "bestellten" Päpsten ist meines Erachtens Unsinn. Die Papstwahl ist wohl die am schwierigsten zu manipulierende Wahl überhaupt, sowohl was das Verfahren als auch was die Entscheidungsträger angeht. Wenn das Kardinalskollegium als solches in bestimmten Richtungen aktiv wurde, dann aus eigenem Antrieb - etwa das Ende des Warschauer Pakts war mindestens so sehr im Interesse der Kirche wie der restlichen Menschheit - dafür brauchte es jedenfalls keine wie auch immer geartet-sein-sollende Einmischung der CIA.^^

Und andererseits würde ich ihm schon eine gewisse Wandlungsfähigkeit zutrauen wollen, wie gesagt finde ich wichtig, wie er mit dieser Vergangenheit umgeht, und wieweit er damit möglicherweise auch Argentinien und Südamerika helfen kann, die Zeit zu verarbeiten. Interessant finde ich aber auch, ob er daraus eine besondere Sensibilität für die Situation von Kirche in autoritären Regimes gewinnt, insbesondere in China wäre das derzeit eine Herausforderung.

Ein Indio-Papst wäre vielleicht 'echter' südamerikanisch, aber dafür dürfte es im höheren Klerus kaum bzw. keine geeigneten Kandidaten geben, dafür ist die Kirche sicherlich noch nicht weit genug. Da würde ich mir irgendwann mal mehr von einem afrikanischen Papst erwarten. Aber die reine Frage der ethnischen Herkunft ist mE auch weniger wichtig als daß er die Verhältnisse der Länder kennt und einen offenen Blick für die Zustände hat, in denen die Menschen leben.

Und nein, alles, was an Äußerungen aus seiner Kardinalszeit bekannt wurde, deutet darauf hin, daß er ein strenger Konservativer ist. Frauenordination und Aufgabe des Zölibats sind da sicherlich nicht zu erwarten; ich glaube auch, daß der Priestermangel, der hier als ein Argument gegen den Zölibat ins Feld geführt wird, in Südamerika nicht so ein großes Problem ist. Ich denke, daß die katholische Kirche unter ihm sozialer und volksnäher werden könnte, und das wäre schon ziemlich viel. Er ist ihr Oberhaupt, aber das heißt nicht, daß er sie in kürzester Zeit komplett umkrempeln kann, und wenn, dann sicher nicht gegen seine eigene Überzeugung.

janw
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So 17. Mär 2013, 16:19 - Beitrag #16

Einen knusprigen Punkt an seinem Verhältnis zur Junta sehe ich darin, daß Bergoglio sich dafür eingesetzt hat, die Vergehen der Junta in der selben Weise (das heißt offenbar: nicht) zu verfolgen, wie jene einer oppositionellen Terrorgruppe aus der Zeit. Und, naja, die Ehrendoktorwürde für den Oberfolterer der Junta ist auch nicht von Pappe.
In meinen Augen müsste die Kirche, wenn sie es denn ernst meinte, alle Verantwortlichen für die Verbrechen der Junta exkommunizieren, wenn sie sich nicht selbst schuldig bekennen und bereuen, sich der weltlichen Gerichtsbarkeit unterwerfen und den Angehörigen der Opfer Auskunft zu deren Fragen geben.

Ansonsten wird es nur wieder ein Johannes der (?) 23.

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So 17. Mär 2013, 17:16 - Beitrag #17

Du meinst wohl eher, ein Pius XII.? Johannes XXIII. (zumindest der letzte^^) gilt als einer der stärksten Reformer der Geschichte... Wenn Franziskus 'nur' genausoviel erreicht, wie der mit dem 2. Vatikanischen Konzil, bleibt in Rom quasi kein Stein auf dem anderen. ;)

Daß ihm diese verlangte Gleichbehandlung vorgeworfen wird, habe ich auch gelesen. Ich frage mich ein wenig, warum. Aber ja, ich meine ebenfalls, daß die ganze Geschichte der Nähe zur Junta unappetitlich ist und der Aufklärung bedarf, auch um andernorts zu helfen, bessere Wege zu finden.

janw
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So 17. Mär 2013, 17:31 - Beitrag #18

Stimmt, Pius war's.

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Mo 18. Mär 2013, 01:15 - Beitrag #19

Mal ein historischer Vergleich: Ein Bericht vom Besuch Johannes Pauls II. in Chile 1987. Wenn schon dieser durchaus mutige Papst sich - ein Jahrzehnt später - völlig unnötigerweise dem Pinochet-Regime als öffentlicher Fürsprecher andiente, das keinen Deut besser war als die argentinische Junta, sollte für die in Argentinien lebenden Geistlichen von damals kaum ein strengeres Prinzip gelten. Wahrscheinlich würde ein heutiger Papst eine solche Reise nicht mehr machen; aber einiges spricht dafür, die historischen Maßstäbe an sein Handeln anzulegen.

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Mo 18. Mär 2013, 02:12 - Beitrag #20

Hm, ja, ein Vergleich, nur hinkt er leicht.
Hier jemand, der seine Institution in der Diktatur führt, dort jemand, der Angehörige seiner Institution in einer Diktatur besucht.

Klar ist, daß ersterer sich zur Diktatur verhalten muss, letzterer könnte es beim Mindesten belassen, Erledigen von Einreiseformalitäten usw.

Beide haben aber den Rahmen des Nötigen überschritten, Bergoglio musste um nichts den Oberfolterer irgendwie ehren und hat es andererseits an möglichen Sanktionen (Ausschluss von der Beichte und der Eucharistie usw.) fehlen lassen, offenbar auch an Schutz für von ihm Abhängige, Jopi hätte um nichts der Junta etwas irgendwie Nettes sagen müssen.

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