@Ipsissimus:
Die Grundrechte stehen nicht umsonst im Grundgesetz, einem staatlichen Dokument, bzw.
dem staatlichen Dokument, und nicht in einem Text, den sich "die Bürger" auf irgendeinem abstrakten Weg selbst gegeben haben und der dann dem aus dem nichts entstehenden oder von außen kommendem Staat zur Kontrolle seiner ebenso aus dem Nichts kommenden Machtfülle aufgezwungen wurde.
Wie Padreic sagt, ist ein moderner Rechtsstaat in erster Linie ein Garant der Grundrechte der Menschen untereinander und gegenüber äußeren Einflüssen (menschlichen und natürlichen). Oder er ist zumindest dazu gedacht. Dass es überhaupt denkbar ist, dass der Staat selbst Rechte verletzen kann, ist erst eine sekundäre Verfeinerung des Prinzips aufgrund realweltlicher Nonidealitäten (wenn auch natürlich eine sehr naheligende), und somit die Verteidigung von Rechten gegenüber dem Staat oder Einführung neuer Rechte, die erst durch eine staatliche Bedrohung nötig werden, ein sekundärer Kontrollmechanismus.
Das sieht man auch schon daran, wie selbstwidersprüchlich die historisierende Version "der Staat wurde geschaffen, um den Bürger vor dem Staat zu schützen" wirkt.
Somit hat Wendt auf analytischer Ebene völlig Recht, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit gegenüber Dritten grundlegender ist als das auf Datenschutz gegenüber dem Staat. Sein offensichtlicher Fehlschluss ist aber, dass aus dieser analytischen Priorität eine Bedeutungspriorität automatisch folgt. Diese kann nur unter Hinzuziehung vielfältiger moralischer und statistischer Aspekte proponiert oder widerlegt werden, und dass da ein Polizist eine nicht mehrheitsfähig verzerrte Perspektive hat, ist naheliegend.
Ach ja, ein Staat
muss pauschalisieren, erstens aus Praktikabilitätsgründen, zweitens aber auch aus Gerechtigkeitsgründen.
Und er muss andauernd zwischen mehreren eigentlich jeweils unverletztlichen Grundrechten abwägen und entscheiden, welches zu verletzen eher verkraftbar ist - das ist die Realität, die Karlsruhe nicht wahrhaben will, du vielleicht auch nicht, der aber in einer komplexen Welt nunmal nicht zu entkommen ist. ("nicht wahrhaben wollen" hier nicht als "Ignoranz" gemeint, sondern als "wissentlich anderen die eigenen höheren Prinzipien vorhalten, die man vermutlich selbst aufgeben müsste, wenn man in deren Situation wäre" - was nicht inhärent schlecht ist, manche würden es sogar "edel" nennen, ich halte es aber für unfair.)
@Padreic: So logisch die Ansicht "die Datensammlung an sich richtet ja keinen Schaden an" ist, so gefährlich ist sie auch. Nicht nur, weil die Verfügbarkeit bei unabhängig von ihr aufkommenden bösen Absichten Missbrauch ermöglicht, sondern auch, weil die Verfügbarkeit an sich zum Aufkommen dieser Bosheit verführen kann. (Mehr Details vielleicht später.)
Auch ein Grund, warum mir Prism schlimmer erscheint als Standard-Mailfilterung - weil menschengeeigneter Vollzugriff auf Datensammlungen hergestellt wird, zudem verdachtsunabhängig zumindest auch ermöglicht, anstatt "nur" automatische Filter laufen zu lassen, die nur bei Anschlag auch weiter auswertbare Daten abzweigen. (Was vermutlich eine naive Annahme ist, wer weiß, ob nicht doch auch große Mengen Mails auf Vorrat gespeichert werden. Und die Filterschwelle dürfte auch unangemessen niedrig liegen. Also sagen wir, ich beziehe mich hier auf einen "ideal-datenschutzkompatiblen" automatischen Filter als Referenz.)
@Anaeyon: Sehr interessanter Fall, der, obwohl die Betroffene wohl im Unrecht war, doch ganz nebenbei zumindest für Facebook mal so eben den Beweis für die bisher noch abgestrittene verdachtsunabhängige Datenerhebung liefert... (Es sei denn, sie oder der Gastvater hätte aus irgendeinem Grund unter Vorbeobachtung gestanden.)
Passt ansonsten aber besser in den
Prism-Thread. (Dessen Titel ich gerade mal angepasst habe, damit das klar wird.)