Gestohlene Gemälde verbrannt

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Lykurg
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Do 18. Jul 2013, 10:36 - Beitrag #1

Gestohlene Gemälde verbrannt

Zitat von SpOn:Die mutmaßlichen Diebe hatte die Polizei bereits Anfang des Jahres festgenommen. Doch die Gemälde, die vergangenen Oktober aus der Kunsthalle in Rotterdam gestohlen worden sind, blieben lange verschollen. Nun haben rumänische Ermittler bestätigt, dass die Werke von Lucian Freud, Paul Gauguin, Henri Matisse, Meijer de Haan, Claude Monet und Pablo Picasso in einem Ofen verbrannt worden sind.
Weiterer Artikel, Fotostrecke

Daß mich diese Nachricht traurig machte, ist sicher richtig, dazu kommt aber auch ein massiver Wunsch nach Vergeltung. Ich frage mich, wie man Leute wirkungsvoll davon abhalten kann, Kunstwerke nicht nur zu stehlen, sondern eben auch zu zerstören. Das sollte dann angepaßt auch auf nicht-diebstahlsbedingte Zerstörung von Kulturgütern angewandt werden. Für mein Empfinden ist dies einem mehrfachen Tötungsdelikt gleichberechtigt zu behandeln. - Wie dumm und brutal sind Menschen... Bild

(Als ob das Vergraben auf einem rumänischen Friedhof nicht gereicht hätte. Sie hätte die Bilder auch noch pfählen können - aber Feuer ist zuviel. Möge sie am Knoblauch ersticken.)

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 11:19 - Beitrag #2

Deine Traurigkeit lässt sich ohne Weiteres nachvollziehen, aber Sachvernichtung mit einem Tötungsdelikt gleichzusetzen, halte ich schon für gewagt und problematisch, zumal wenn von der Sachvernichtung keine Gefährdung für das Leben von Personen ausgeht.

Meines Erachtens trifft die jungen Leute aber nur ein Teil der Schuld. Es darf bezweifelt werden, dass sie sich irgendetwas aus Kunst machen, und wären die Preise für Kunstwerke nicht längst jenseits von gut und böse, gäbe es auch keinen entsprechenden Markt, auf dem sie tätig werden könnten. Selbstverständlich ist das keine Rechtfertigung für Vandalismus und Diebstahl. Aber die Immunisierung von Kunstwerken gegen einen Platz im Leben aufgrund irrsinniger Preisentwicklungen der Kunsthandelszene - mit der Konsequenz der Entwicklung entsprechender Begehrlichkeiten -, das haben sie nicht zu verantworten.

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Do 18. Jul 2013, 12:36 - Beitrag #3

Es gibt diesen Markt eben nicht, zumindest nicht für gestohlene Kunst, wenn man sich nicht darauf versteht - eben deswegen ja die Vernichtung, da sie sich außerstande sahen, sie zu verkaufen. Und an dieser Stelle wird das Gemisch aus Dummheit und beleidigter Gier (dann solls halt keiner haben, und wenn ichs verbrenne, ist die Schuld getilgt) ekelerregend. Daß es einen Markt für etwas gibt, entschuldigt überhaupt nichts. Auch Organe lassen sich verkaufen, oder Mädchen. Das reduziert die Schuld der Händler nicht im Geringsten, auch nicht, wie hoch oder niedrig die Preise sein mögen. Wenn diese Menschen völlig perspektivlos und nahe am Verhungern sind, ist es für sie gleichgültig, ob die von ihnen gestohlenen Gegenstände mehrere hundert oder mehrere hundert Millionen Euro wert sind. Erstere lassen sich aber meist besser verkaufen, entsprechend ist nur dann auch eine Notlage als Erklärung nachvollziehbar.

Mag sein, daß meine Wertvorstellungen in dieser Hinsicht nicht gerade massenkompatibel sind, 2004 hat mich der Anna-Amalia-Brand weit mehr betroffen gemacht als das Erdbeben vor Sumatra... Aber versuchen wir es: Als ein gewichtiger Punkt für die Wertigkeit jedes einzelnen menschlichen Wesens wird seine Individualität genannt, mithin ein Kernkriterium von Kunst. - Was sind die Erinnerungen und Erfahrungen eines vergänglichen Menschen, verglichen mit dem, was ein Gemälde, eine Skulptur, ein Bauwerk oder Buch berichten und noch in vielen Jahrhunderten seinen Betrachtern vermitteln kann? - Dinge sind es, die von uns bleiben, und wer ein Werk zerstört, nimmt der Nachwelt die Möglichkeit, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Was hier stirbt, wächst nach, und wird nichts von seiner entgangenen Bestimmung wissen. Was dort vernichtet wird, ist für immer dahin.

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 13:03 - Beitrag #4

Dummheit - das ja, es hätte Möglichkeiten gegeben, die Bilder zurück zu geben, ohne sich selbst in allzugroße Gefahr zu begeben. Auf beleidigte Gier würde ich nicht notwendig tippen, da reicht schon die Personalunion von Selbstschutzgründen und kompletter persönlicher Inkompetenz.

Den Markt gibt es sehr wohl, allerdings ist das ein Markt, auf dem Volltrottel nicht gerade geschätzt werden. Die Täter werden sich wahrscheinlich aufgeführt haben, wie ein Elefant im Porzellanladen, und das in einer Szene, die von ihrer Verborgenheit lebt. Und ich sagte ja, dass die Motive dieser Leute keine Rechtfertigung sind, für nichts. Trotzdem sind sie nicht daran schuld, dass es diesen Markt gibt, und der Existenz eines Marktes, also der Käufer, ist es zuzuschreiben, dass es Lieferanten und Produzenten gibt. Keine Käufer für Diebesgut - keine Diebe, die verkaufen wollen.

Dinge sind es, die von uns bleiben, und wer ein Werk zerstört, nimmt der Nachwelt die Möglichkeit, sich mit ihm auseinanderzusetzen.
Na ja. Wer einen Menschen tötet, nimmt ihm die Möglichkeit, Werke für die Ewigkeit herzustellen. Was wäre schlimmer gewesen, wenn van Goghs Selbstportrait mit Pfeife und verbundenem Kopf zerstört oder wenn er als 18Jähriger getötet worden wäre?

Natürlich ist der Verlust künstlerisch hochrangiger Werke beklagenswert. Dennoch: muss es bei Skulpturen und Gemälden das Original sein? Die meisten Menschen dürften schon ab 90% Übereinstimmung die Kopie nicht mehr vom Original unterscheiden können, und bei wirklich guten Kopien niemand mehr, außer ausgemachten Fachleuten. Wieviele Leute genießen im Louvre die Mona Lisa, obwohl sie genau wissen, dass es gar nicht mehr das Original ist, was da hängt.

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Do 18. Jul 2013, 15:04 - Beitrag #5

Was wäre schlimmer gewesen, wenn van Goghs Selbstportrait mit Pfeife und verbundenem Kopf zerstört oder wenn er als 18Jähriger getötet worden wäre?
Ersteres. Ohne sein Werk wüßten wir nichts von seiner Bedeutung. Möglicherweise hätte ein anderer den Platz eingenommen, oder die Entwicklung wäre in eine andere Richtung gegangen. Mein Schmerz um das nicht entstandene ist geringer als um das Verlorene. Ja, gäbe es ein Alterswerk von Schubert, Mozart, Purcell, Arriaga oder Pergolesi, hätten Rimbaud, Owen, Trakl und Stadler weiter gedichtet, Marc und Macke weiter gemalt, was wäre dann entstanden? Wir wissen es nicht; es bleibt aber Spekulation und der Tod unausweichliches historisches Faktum. Die Vernichtung des Werks ist dagegen so überflüssig wie sinnlos, hier vergeht etwas, das bestand.
Dennoch: muss es bei Skulpturen und Gemälden das Original sein?
Walter Benjamin hätte hier bedingungslos 'Ja' gesagt.^^ Aus konservatorischen Gründen finde ich den Einsatz von Faksimiles gut. Bei bis auf geringe Reste zerstörten Kunstwerken wäre es angemessen, diese (etwa hier die Nägel und Farbreste) neben einer Reproduktion auszustellen, wenn man denn etwas ausstellen möchte, auch als mahnende Erinnerung. Denn die Beliebigkeit, die durch 'perfekte' Kopien suggeriert wird, finde ich falsch. Auch bei Ununterscheidbarkeit bleibt das Original der Ausdruck des künstlerischen Schaffensprozesses und Bezugspunkt aller seiner Abbilder.
Wieviele Leute genießen im Louvre die Mona Lisa, obwohl sie genau wissen, dass es gar nicht mehr das Original ist, was da hängt.
Die Theorie, sie wäre nach dem Diebstahl 1911 durch eine Fälschung ersetzt worden, ist ziemlich unwahrscheinlich, erfolgte ja gerade ihre Sicherstellung aufgrund eindeutiger Merkmale, wie der photographisch gut dokumentierten Risse. Wenn Fälschung, dann schon eine ziemlich gute, und dann schon alt genug, daß man genausogut auch von einem Original sprechen könnte. ;)

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 15:32 - Beitrag #6

Ohne sein Werk wüßten wir nichts von seiner Bedeutung.
Das ist unbestreitbar, entzieht sich aber dem Argument. Wenn er als 18jähriger überlebt, wäre immer noch sein gesamtes Werk zustande gekommen. Wenn du dem Überdauern dieses einzelnen Bildes also höhere Relevanz als dem Überleben des Schöpfers zubilligst, sprichst du damit im Grunde dessen Gesamtwerk jegliche Relevanz ab.

Denn die Beliebigkeit, die durch 'perfekte' Kopien suggeriert wird, finde ich falsch.
Das ist dir unbenommen. Wobei der Unterschied zwischen Original und einer perfekten Kopie diskussionswürdig wäre^^ Insgesamt würde ich aber diesem Argument entgegenhalten, dass eine erhebliche Anzahl von Menschen ihr Kunstverständnis anhand von Kopien schult. Es ist bei entsprechender Neigung zweifellos ein Erlebnis, Werke im Original zu sehen. Aber es ist nicht unumgänglich notwendig, um Geschmack und Differenzierungsvermögen zu entwickeln. Und wieviele Menschen konsumieren Originale, wie sie die Fotos in ihren Bildbänden auch kommunizieren? Wieviele verbringen wirklich zwei Wochen ihres Urlaubs vor einem kleinen Van-Gogh-Portrait?

Auch bei Ununterscheidbarkeit bleibt das Original der Ausdruck des künstlerischen Schaffensprozesses und Bezugspunkt aller seiner Abbilder.
mag sein, ist aber nach dem Tod des Künstlers irrelevant und während seiner Lebenszeit höchstens für ihn selbst relevant

Lykurg
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Do 18. Jul 2013, 20:08 - Beitrag #7

Wenn du dem Überdauern dieses einzelnen Bildes also höhere Relevanz als dem Überleben des Schöpfers zubilligst, sprichst du damit im Grunde dessen Gesamtwerk jegliche Relevanz ab.
Das tue ich, so gesehen, tatsächlich, da ich sage, daß sein Werk uns nicht fehlen würde, hätte es nie existiert. Diese Aussage ist banal, das gebe ich zu; allerdings läßt sich schlecht dahinter zurückgehen.

Natürlich beschäftigen wir uns meist mit Reproduktionen, wenn wir intensiv betrachten, vergleichen und lernen. Aber diese Beschäftigung speist sich aus dem Bewußtsein, daß ein Original existiert (hat), und wenn irgend möglich versuchen wir irgendwann das Original zu sehen. Kaum jemand hat Gelegenheit, sich so ausführlich mit dem Original zu beschäftigen, aber um so intensiver sind Museumsbesuche, in denen all die indirekten Begegnungen wieder an die Quellen zurückgeführt werden können. - Darüber hinaus sind dort natürlich auch viele Originale zu sehen, die es nicht als Reproduktionen gibt, was zur Authentizität des Erlebnisses beiträgt. -

...irrelevant? Sehe ich anders.

Maglor
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Do 18. Jul 2013, 20:20 - Beitrag #8

Hätten Joseph Beuys oder Ai Weiwei die Bilder in den Ofen gesteckt, wäre das sicher Performance gewesen, so aber - durch die Hand der Zigeuner - natürlich nicht. Die Unterstellung, dass die Täter Zigeuner waren, ist natürlich notwendig und zur Unterstreichung der Barbarei. Wenigstens erfüllte die Kunst im Ofen noch ihren Zweck und die rumänische Kate mit Wärme.

Erfahrensgemäß steigert die Zerstörung den Wert eines Kunstwerks enorm. Ganz anschaulich ist das bei der Statue des olympischen Zeus, beim Bernsteinzimmer, dem goldenen Kalb usw. Ein Werk überdauert den Künstler.

Im Sinne einer ernstgemeinten Rache könnte man ja öffentlich private Zeichnungen und Aufzeichnungen der angeblichen Diebe verbrennen. :crazy:

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Do 18. Jul 2013, 21:27 - Beitrag #9

Lykurg, ein ähnliches persönliches Empfinden stelle ich auch bei mir fest - "100 Tote bei Gefechten in Syrien" überlese ich schon fast, "Altstadt von Aleppo beschädigt" schreckt mich dagegen auf. Ähnliches bei Bamian, Timbuktu, Museen in Irak und Ägypten... (Und falls Maglor das auf Rassismus zurückführen sollte: ähnliches gilt auch lokal, etwa bei deinem Amalia-Beispiel, Hochwassern, Köln usw. vs. Zugunglücke oder anderen Katastrophen mit Menschenopfern...)

Hauptgrund dürfte sein, dass einem bei Menschen nur solche wirklich etwas bedeuten, die einem nahestehen oder deren Werk man kennt, während man Artefakte aus aller Welt viel leichter in ihrer Bedeutung einschätzen kann. Daher auch das Gefühl, die Menschen wären austauschbarer - ihre Individualität ist schwerer zu erfassen.

Aus utilitaristischer Sicht ist mir aber klar, dass das keine sinnvolle Gewichtung sein kann - die Konsequenzen eines Rechts- oder Moralsystems, das die Zerstörung kultureller Artefakter härter oder auch nur gleich bestraft wie die menschlichen Lebens, wären schrecklich.

Zudem setze ich deutlich geringere Anforderungen an die Ersetzbarkeit eines Artefakts. Natürlich ist es einfach schön, ein Original zu haben, und selbst wenn man glaubt, etwas schon vollständig erforscht und alle relevanten Informationen entnommen und kopiert zu haben, mag es in der Zukunft sein, dass man doch noch mehr aus dem Original hätte entnehmen können. Trotzdem ist, wenn es sehr gute Aufzeichnungen und Reproduktionen gibt, der Verlust für mich nur noch ein gradueller, kein totaler mehr.
Daher halte ich auch nach aktuellem Stand des Machbaren Gemälde und (so sehr sie mir auch persönlich am nächsten sind) Bücher für bei Vorhandensein guter Kopien am ehesten verzichtbar, Fossilien und archäologische Objekte schon weniger, Gebäude kaum.

Zur Angebots-und-Nachfrage-Diskussion: Tja, wie üblich bedingen sie sich gegenseitig. Gar keinen Markt würde es nie geben, die Frage, ob es dann noch ein Angebot gäbe, ist müßig. Aber selbst wenn die Nachfrage nicht gerade als sonderlich riesig bekannt wäre, würden halbwissende Diebe versuchen, Beute zu machen und anzubieten, und damit den Markt vorantreiben, der dann wiederum mehr Angebot anzöge. Gleichzeitig ist klar, dass der reale starke Markt Anbieter züchtet. ich denke, es ist ein Bereich, in dem die reine Knappheit der Grundressource schon den Anreiz darstellt, und die Zwischenhändler (inkl. der Diebe) nur eine abhängige Variable sind.

Nebenaspekte:
Zitat von Ipsissimus:die Immunisierung von Kunstwerken gegen einen Platz im Leben aufgrund irrsinniger Preisentwicklungen der Kunsthandelszene
Welchen "Platz im Leben" könnten Kunstwerke (die alt genug sind, um allgemein anerkannt zu sein) denn auch ohne diese Preise haben? Konservatorische Gesichtspunkte verbieten das doch weitgehend.

Zitat von Lykurg: Darüber hinaus sind dort natürlich auch viele Originale zu sehen, die es nicht als Reproduktionen gibt, was zur Authentizität des Erlebnisses beiträgt.
Dieser Fall zeigt wohl hoffentlich endgültig auf, wie dringlich eine möglichst vollständige Bestandserfassung in höchster, reproduktionstauglicher Qualität ist.

Die konkret betroffenen Gemälde scheinen mir übrigens persönlich nicht der größte Verlust zu sein, an der Barbarei im Grundsatz ändert das aber nichts. Die Idee, Reste neben einer Kopie auszustellen, gefällt mir sehr gut.

Maglor
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Do 18. Jul 2013, 22:27 - Beitrag #10

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Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 22:40 - Beitrag #11

nun, zumindest steht da, dass es eine alte Han-Vase sei^^ er hätte dann auf diesem Foto einen Handelswert von etwa 7,5 Millionen Euro und ein unersetzbares Original zerstört^^ kein Wunder, dass er in China Staatsfeind ist^^

oder anders gesagt, da kann viel stehen^^

Lykurg
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Do 18. Jul 2013, 23:04 - Beitrag #12

Maglor, danke für das instruktive Beispiel! An die entsprechenden Happenings mußte ich auch kurz denken - und bin eben auf ein interessantes Buch in der Richtung gestoßen, Dario Gamboni: The Destruction of Art. Iconoclasm and Vandalism since the French Revolution, das gegen Ende auf die entsprechenden Tendenzen innerhalb von Fluxus etc. eingeht, auch zB Rauschenbergs wegradierte Kooning-Zeichnung enthält (mit Einverständnis des Urhebers), die (zerstörte) Machine for Breaking Sculpture von Tinguely u.a. Außerdem stieß ich eben auf diesen SpOn-Artikel über die geplante Zerstörung eines dafür freigegebenen Kunstwerks durch Schalldruck (irgendwie fühlte ich mich ans Restaurant am Ende des Universums erinnert^^). Aber ja, der Unterschied ist, wer das macht. Zerstörungen fremder Werke ohne Einverständnis aus Dummheit, Verblendung oder Kalkül hat es immer wieder gegeben, ohne denjenigen zum Künstler zu qualifizieren (nicht wahr, Nero?).

Ipsissimus, was meinst du, wieviele (originale) Urnen und vergleichbare Stücke wohl in der Kulturrevolution draufgegangen sein mögen, ganz ohne künstlerischen Anspruch dabei? Bild

Traitor, in qualitativer Hinsicht hatte ich einen ähnlichen Eindruck, wenn mir die Monets auch gefallen hätten. Vielleicht hätte das Original mehr Wirkung gehabt. Aber ja, ich bin auch sehr für eine vollständige Dokumentation, auch wenn der Aufwand - gerade bei Skulpturen und Objekten - riesig ist.

Danke sowohl für die emotionale Unterstützung als auch die Analyse und ethische Ablehnung meiner Einschätzung!^^ Sicher hätte es einige heftige Konsequenzen, etwa, was Rettungsprioritäten angeht. Stickstoff löscht einen Museumsbrand sicher besser und schonender als Wasser. Man müßte ja nicht ganz so weit gehen.
Aber wir sind uns zweifellos einig, daß hier nicht irgendein Eigentumsdelikt vorliegt, auch nicht vergleichbar mit einer Autobrandstiftung oder typischem Vandalismus.

Deine Einschätzung der Wertigkeit eines Originals scheint mir mit seiner Komplexität zusammenzuhängen, und in diesem Sinne kann ich das für Gebäude auch gut nachvollziehen (wenn sie etwa über die entsprechenden historischen Wand- und Deckengemälde, Schnitzereien, Tapeten, Mobiliar etc. verfügen). Ansonsten ist für mich allerdings eher die Vergänglichkeit des Objekts ein Grund mehr, sein Original höherzuschätzen, während ich gerade bei Fossilien (mal abgesehen von jeweils einzigen Funden einer Art) die Einmaligkeit weniger stark sehe.

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 23:18 - Beitrag #13

Aber ja, der Unterschied ist, wer das macht ... Ipsissimus, was meinst du, wieviele (originale) Urnen und vergleichbare Stücke wohl in der Kulturrevolution draufgegangen sein mögen, ganz ohne künstlerischen Anspruch dabei?
Lass uns doch mal ein Stradivari-Happening machen, oder ein Silbermann-Happening^^ du und ich, wir sind ja doch auch irgendwo Künstler und wenn das nicht zählt, ich finde dafür welche^^

nee, sorry, das ist Barbarei, gleichgültig, wer das macht, und gleichgültig aus welchem Motiv

Maglor
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Do 18. Jul 2013, 23:22 - Beitrag #14

Im konkreten Fall muss ich den verbrannten Werken eine ausgesprochene Häßlichkeit attestieren. Und der materielle Wert war auch nur eingebildet.
Es ist fast so, wie bei dem netten Mensch, der den Fettfleck von Joseph Beuys wegputzt hat. Im Grunde war es ein gutes Werk. :crazy:

Zitat von Ipsissimus:nee, sorry, das ist Barbarei, gleichgültig, wer das macht, und gleichgültig aus welchem Motiv

Einige der schönsten Kunstwerke des Abendlandes bestehen aus eingeschmolzenen Inka-Figurinen, geplünderten byzantinischen Kirchen und schonungslos überbauten Ruinen.

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Do 18. Jul 2013, 23:35 - Beitrag #15

Hätte er eine "unzerstörbare Ming-Vase" genommen, wäre das vierte Bild recht schmerzhaft geworden. ;)

@Lykurg: Mir sagt der Gauguin noch am ehesten zu, die Monets sind mir zu skizzenhaft, vor allem der zweite ist ja nahezu objektfrei. Obwohl ich generell Monet höher schätze.

Neben Rettungsprioritäten denke ich an abschreckenden Beispielen auch an den noch extremeren Fall, gezielt Menschen zur Rettung von Schätzen zu opfern.

Ein härter zu bestrafendes Delikt "kultureller Barbarismus" oder "Zerstörung von Kulturgütern" wäre angemessen, ja. Wobei man gut aufpassen muss, dass daraus kein beliebig dehnbarer Paragraph à la "Beleidigung der Nation und ihrer Geschichte" wird. Kennst du die tatsächliche Rechtslage?
Autobrandstiftung würde ich höchstens bei einem Duesenberg als vergleichbar ansehen. ;)

Komplexität trifft mein Kriterium nicht ganz, zumindest nicht im einfachen Sinne des Zählens der Bestandteile. Praktische Erfassbarkeit und Kopierbarkeit fallen mit rein, ebenso die Möglichkeit versteckter Information, sowie wissenschaftlicher Wert gegenüber rein ästhetischem. Eine Pyramide ist schwerer erfassbar und kopierbar als ein Gemälde, man kann in ihr mehr relevante Details übersehen, und sie hat wegen Alter und Umgebungseinbindung mehr zu erzählen.
Bei Fossilien ist es primär der wissenschaftliche Gehalt. Wenn man ein Gemälde von 1600
mit perfekten bildgebenden und soliden chemischen Verfahren erfasst und nach Verlust nachbildet, ist die Chance gering, dass die übersehenen Pigmentdetails bei zukünftiger besserer Untersuchung des Originals wirklich wichtiges ergeben hätten. Bei einem analog erfassten Vormenschenknochen würde ich eher erwarten, dass Zukunftstechnologien noch zuvor nicht für erfassbar gehaltene DNA-Spuren im Original gefunden hätten. Die Einmaligkeit ist aber tatsächlich in vielen Fällen nicht gegeben. Obwohl man auch über die Einmaligkeit von Amphoren, Madonnen und Seerosenteichen streiten kann. ;)

PS @ Maglor:
Einige der schönsten Kunstwerke des Abendlandes bestehen aus eingeschmolzenen Inka-Figurinen, geplünderten byzantinischen Kirchen und schonungslos überbauten Ruinen.
Was nichts daran ändert, dass man die Neuwerke äquivalent auch ohne Zerstörung der Altwerke hätte herstellen können und dann doppelt so viele Kunstschätze hätte.

Lykurg
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Fr 19. Jul 2013, 00:50 - Beitrag #16

@Ipsissimus: Das entsprechende Happening von Nam June Paik wird ziemlich oft inszeniert, scheints, ich habe außer diesem Filmchen hier mehrere verschiedene auf Youtube gesehen. Dafür wurde sicher bislang keine Stradivari verwendet, aber kombiniert mit der Materialbesessenheit eines Damien Hirst wäre auch das denkbar. Und nein, schön fände ich das nicht, auch dies hier ist hart an der Grenze für mich.

@Traitor: Für mich dann eher noch der Matisse. Ich hätte mich auch mit den dreien zufrieden gegeben, so ists ja nicht. Aber ja, in Monets Spätwerk wirds teilweise sehr weitgehend objektfrei, ähnlich wie bei Turner. Die erwähnte Rauschenberg-Nichtzeichnung ist da eigentlich fast schon eine logische Konsequenz^^ (hier ein Bild davon sowie die sehr lesenswerte Geschichte ihres Zustandekommens). Brücken sind allerdings ein häufig wiederkehrendes Thema bei Monet, und um die beiden zusammen ist es schon sehr schade. Von der Charing Cross Bridge gibt es anscheinend eine zweite, weniger skizzenhaft ausgeführte Fassung, vielleicht gefällt dir die besser.

Um die Rechtslage kümmere ich mich beizeiten mal, kenne sie aber nicht. - Dein Duesenberg-Verschreiber (->EZB) ist lustig: Ich meine mich zu erinnern, daß das Bemalen von Geldscheinen in manchen Ländern verboten ist, gelegentlich aber auch schon für Kunstwerke verwendet wurde; es gibt in den USA sogar spezialisierte Sammler von künstlerisch bearbeiteten Dimes. An Theo von Doesburg dagegen mußte ich denken, als ich neulich durch das namensgleiche Städtchen fuhr und prompt auf einen Barbarismus stieß: Der Turm der dortigen Kirche mitsamt vielstimmigem barockem Glockenspiel wurde noch Mitte April 1945 von den abziehenden Deutschen gesprengt. :-(

@Traitor@Maglor: In manchen Fällen ergibt gerade die Überarbeitung der Ruine ein neues Kunstwerk, das seine ganz eigene Wirkung entfaltet, gerade bei Kircheneinbauten in und um antike Tempel bzw. unter Verwendung antiker Säulen (z.B. in Aachen). Zwiespältiger finde ich Umnutzung bzw. Umbau bei der Moschee von Cordoba und bei der Hagia Sophia; allerdings wären beide Gebäude sonst vielleicht ganz zerstört worden.

Ipsissimus
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Fr 19. Jul 2013, 10:11 - Beitrag #17

Nam June Paik hat eben keine einzigartigen Original-Instrumente zerstört. Möglicherweise waren es Reste von Selbsterhaltungstrieb, die ihn daran hinderten, oder die Einsicht, dass er das Geld statt für Schulden lieber für was anderes ausgibt^^ die wirklichen Gründe sind doch meistens profan^^

Das tue ich, so gesehen, tatsächlich, da ich sage, daß sein Werk uns nicht fehlen würde, hätte es nie existiert.
dann wäre natürlich auch sein Selbstportrait nie entstanden. Aber deine Antwort entzieht sich immer noch dem Problem^^ also: ich bin Mephisto und biete dir, Gott, ein Spiel an. Ich töte den guten van Gogh, sobald er 19 Jahre alt ist, er hat zu dem Zeitpunkt noch nichts Relevantes gemalt. Alternativ lasse ich ihn am Leben, aber dann erlaubst du mir, nach seinem Tod sein wichtigstes Einzelwerk zu zerstören; alles andere bleibt gleich. Abgesehen davon, dass du als Gott mich zerschmettern kannst, aber weil ich dich in einem schwachen Moment erwische und dir ein bisschen nach Spielen zumute ist, gehst du drauf ein: lässt du ihn mich töten, oder darf ich sein wichtigstes Einzelwerk nach seinem Tod zerstören?

Bei der Mona Lisa beziehe ich mich übrigens nicht auf den Raub, sondern darauf, dass aus Sicherheitsgründen das Original schon seit einiger Zeit öfters im Tresorkeller bleibt als dass es im Museum hängt. Die meisten merken nichts. Dieser "Original-Hype" ist m.E. ein Phänomen der Massenpsychologie, weniger der tatsächlichen Bedürfnisse.


Welchen "Platz im Leben" könnten Kunstwerke (die alt genug sind, um allgemein anerkannt zu sein) denn auch ohne diese Preise haben? Konservatorische Gesichtspunkte verbieten das doch weitgehend.
der Platz im Leben hängt vom Preis ab? Ein faszinierendes Konzept^^

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Fr 19. Jul 2013, 14:27 - Beitrag #18

@Ipsissimus: Ich dachte, das wäre gerade deine Aussage: "Immunisierung von Kunstwerken gegen einen Platz im Leben aufgrund irrsinniger Preisentwicklungen" <=> "aus hohem Preis folgt kein Platz im Leben" ~> "bei niedrigerem Preis könnten sie einen Platz im Leben haben". Und unter "Platz im Leben" stelle ich mir vor, dass nicht alle Gemälde/Statuen/... in Museen oder gesicherten Privatkellern hängen/stehen, sondern in normalen Nutzgebäuden an der Wand oder auf einem offenen Platz. Entweder die Logik oder die Vokabel falsch interpretiert...?

@Lykurg: Nicht eher dein Lesefehler? Duisenberg=EZB, Duesenberg=Auto.
Der Monet-Variante kann ich auch noch nicht viel abgewinnen, immer noch zu vage und leer. Und hängt ein später Turner neben einem frühen, sieht es für mich einfach aus, als hätte er vergessen, den Vordergrund zu malen.
Einbauten sind natürlich etwas anderes als Überbauungen.

Ipsissimus
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Fr 19. Jul 2013, 15:29 - Beitrag #19

der hohe Preis behindert ihren Platz im Leben

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Fr 19. Jul 2013, 16:08 - Beitrag #20

@Traitor: Ah, ok, Duesenberg sagte mir leider bisher nichts; ich vermutete dahinter eine Spitze gegen die Abstrakten (Doesburg, weil ich grad neulich an ihn dachte). Aber ja, in so einem Fall stimme ich dir zu, Oldtimer dieser Klasse sind mindestens Kunsthandwerk.

@van Gogh (c/o Ipsissimus): "alles andere bleibt gleich" ist unmöglich, weil sein Einfluß aus erheblichen Teilen der Kunst (und natürlich aus der Museumslandschaft) nach ihm nicht wegzudenken ist. Selbst mit göttlicher Allmacht hätte ich viel zu tun, all das wieder geradezubiegen... die Welt wäre im Kleinen eine andere. Naturgemäß würde ich dir aber nicht erlauben, van Gogh zu töten, sondern nur etwa, ihn mit lebenslanger Blindheit und dem Verlust aller seiner Angehörigen und etwaiger Schüler zu schlagen, so daß er keine Möglichkeit hat, die Werke, die er in sich sieht, zu verwirklichen, und ein elendes, aber lang anhaltendes Dasein fristet, durch das er sich aber meiner Gnade gewiß sein kann. Und ja, in meinem unerfindlichen Ratschluß wäre dies besser als die Zerstörung auch nur eines seiner Werke, es sei denn, dies hätte einen unfrommen Inhalt.

@Mona Lisa (c/o Ipsissimus): ah, so gemeint! Das wußte ich nicht, irritierend finde ich dann aber, daß sie überhaupt rausgeholt wird; aus konservatorischen Gründen dürfte der jeweilige Transport und die damit zusammenhängenden, wenn auch sicher sorgfältig verminderten klimatischen Schwankungen, dem Bild mehr schaden als eine dauerhafte Ausstellung unter Idealbedingungen. Aber stimmt schon, hinter einer so dicken Glasscheibe ist dann auch irgendwann einigermaßen egal, ob es das Original ist oder eine gute Kopie.

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