Beschneidungen aus religiösen Gründen sind strafbar

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Lykurg
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Do 27. Sep 2012, 18:42 - Beitrag #121

Für mich klingt es dagegen nach einer vernünftigen Regelung. Ja, es beantwortet die Frage nach Körperverletzung nicht, da die sonst erforderliche Güterabwägung hier herausgenommen wurde. Es gibt keine Extrawurst für religiöse Gruppen; interessant wird also tatsächlich die Handhabung der "Wächterpflicht", wenn Eltern ihrem Kind einen Lippenpflock einsetzen oder die Nase umoperieren lassen wollen.
Wie der Kindeswille von Kleinkindern miteinbezogen werden kann, sollen sie mir auch noch erklären. Wenn der Säugling zu heulen beginnt, wenn der Beschneider am Glied ansetzt, oder sonstige Abwehrreaktionen zeigt, dürfte dies ja den Kindeswillen ausdrücken.
Das ist bei der Taufe nicht allzu anders, bzw. wird vermutlich je nach Auslegung unterschiedlich gehandhabt, aber zumindest mein Tauf- und Konfirmationspastor meinte, er taufe nicht, wenn ein Kind sich "zu sehr" sträube. Daß ein Kind ein bißchen weine, komme natürlich häufiger vor, aber bei Geschrei und Abwehrbewegungen sehe er Kindeswillen und Sakramentshandlung zugleich verletzt.

Maglor
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Do 27. Sep 2012, 20:43 - Beitrag #122

Taufe und Konfirmation bringen jedoch keine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit oder sonstige Gefährdungs des Kindeswohles mit sich, der Vergleich hingt anders als die Sache mit den Ohrringen. ^^

Im Grunde sagt die Regelung nicht aus, ist im Grunde auch keine bindende Regelung sondern lediglich eine Erklärung zum geltenden Recht, verbunden mit etwas Wunschdenken.

Im Grunde ist aus Punkt 4 klar zu erkennen, dass die Beschneidung in Ausnahmefällen eben doch eine unerlaubte Körperverletzung und ein Fall für die Polizei, die Justiz oder das Jugendamt sein kann. Kommt es bei der Beschneidung zu Komplikationen wie etwa im Kölner Fall handelt es sich eben doch um Körperverletzung.
Rechtssicherheit gibt es daher keineswegs.

Das Landgericht Köln entschied nämlich in einem Einzelfall und nahm nur die Wächterpflicht des Staates wahr.
Die Durchführung der Beschneidung verlief fachgerecht nach allen Regeln der ärtzlichen Kunst.
Beide Elternteile hatten eingewilligt.

[INDENT]
Tenor des LG Köln
Der Angeklagte führte die Beschneidung aus religiösen Gründen auf Wunsch der Eltern durch. Aufgrund des von der Kammer eingeholten Sachverständigengutachtens steht fest, dass der Angeklagte fachlich einwandfrei gearbeitet hat. ...
Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB [Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung].[/INDENT]

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hielt 2007 einen Schmerzensgeldanspruch eines fachgerecht Beschnittenen in Höhe von 10.000 Euro für angemessen.
[INDENT]Veranlasst der nicht sorgeberechtigter Vater ohne Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter die Beschneidung eines noch nicht einwilligungsfähigen Kindes, so liegt darin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Kindes, die schon wegen der Genugtuungsfunktion einen Schmerzensgeldanspruch des Kindes begründet.
...
Die Zubilligung eines Schmerzensgeldes für den Antragsteller setzt dem Grunde nach nicht voraus, dass der Antragsteller tatsächlich körperliche oder seelische Nachteile erlitten hat oder erleiden wird. Bei einer schweren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann schon allein die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes einen Anspruch rechtfertigen.[/INDENT]

Lykurg
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Mi 14. Nov 2012, 16:25 - Beitrag #123

Es sind Nebenwirkungen aufgetreten, ziemlich häßliche sogar. Ein ägyptischer Arzt fordert die weltweite Zulassung der Beschneidung von Frauen - mit der analogen Argumentation: Da die von Männern nirgends verboten sei, müsse man den Frauen gleiche "Rechte" zugestehen bzw. Männer und Frauen gleich behandeln. Gruslig, zeigt meines Erachtens sehr deutlich, wie leicht man über ein kleineres in ein größeres Übel hineingeraten kann (auch wenn am Anfang der logischen Kette für mich ein sehr großes Übel steht). Ich bin ziemlich ratlos, was die Sache angeht, halte aber die weibliche Beschneidung für noch viel problematischer und fragwürdiger als die männliche - schon da sie von Männern vorgenommen wird, die immerhin bei der Beschneidung von Männern selbst die Folgen, wenn auch nicht den Unterschied selbst, kennen.

Maglor
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Mi 14. Nov 2012, 23:14 - Beitrag #124

Der ägyptische Gynäkologie führt nur die abendländische Doppelmoral.
Man hat sich hier erlaubt, alle Eingriffe ins das weibliche Genital unter dem Terminius "weibliche Genitalverstümmelung" zusammenzufassen, obwohl es sich um Eingriffe ganz unterschiedlichen Ausmaßen handelt.
Üblicherweise werden drei Typen unterschieden.
Traditionell wird die Beschneidung von Mädchen von Frauen durchgeführt, die ebenfalls beschnitten sind.

Die in Ägypten vorherrschendende Variante I ist verglichen mit der in Ostafrika weitverbreiteten Variante III eher harmlos. (Die Crux ist nun, dass die ostafrikanischen Varianten überlicherweise im Zentrum des Medienechos stehen und irrigerweise auf den nordafrikanischen Raum übertragen werden.)

Ansonsten scheinen zumindest einige islamische Rechtsschulen die Frauen- und Mädchenbeschneidung nach Typ I als religiöse Vorschrift und Notwendigkeit zu betrachten, während es den meisten anderen islamischen schlicht an Meinung fehlt.

Die Argumente der ägyptischen Arztes sind gut gewählt - zu dumm, dass er kein Jude ist.

Malte279
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Mi 14. Nov 2012, 23:41 - Beitrag #125

Und wie gehabt ist dabei die Frage nach dem Recht der zu Beschneidenden, dass hiermit zumindest so lange gewartet wird bis sie sich selbst und bewusst dafür oder dagegen entscheiden kann, kein Thema. Ich fürchte, dass hierbei unabhängig vom Geschlecht der oder des zu Beschneidenden vor allem die Sorge eine Rolle spielt, dass nur wenige sich freiwillig dafür entscheiden würden wenn man das Recht zur Wahl einräumt. Dass eine Bewusste Entscheidung dafür oder dagegen zum Zusammenbruch des religiösen Lebens einer Religionsgemeinschaft bei sonstigem sich richten nach Ideen oder Geboten einer Religion herbeiführen würde wage ich zu bezweifeln.
Ich halte es schlicht und einfach für das Problem vieler Religionen, dass eine so vehemente Verweigerungshaltung gegen Versuche besteht etwas zu verändern, etwas neues zu anzunehmen, etwas altes nicht mehr zweckdienliches aufzugeben oder auch unterschiedliche Einstellungen in Detailfragen der Religionsausübung innerhalb einer Glaubensrichtung zu akzeptieren. Vor allem wegen dieser Starrheit des Denkens ist es in der Geschichte oft genug zu Spaltungen und Konflikten gekommen die mit etwas mehr Flexibilität hätten gelöst werden können. Handlungen die nicht an einem selbst sondern an anderen noch nicht entscheidungsfähigen Personen vorgenommen werden und die zudem dauerhafte physische Veränderungen bedeuten halte ich nachwievor für falsch.
Eine Doppelmoral in unserer Gesellschaft sehe ich auch, aber zur Lösung dieser Doppelmoral sehe nicht die Notwendigkeit die Beschneidung von nicht zustimmungsfähigen Kindern auch für Mädchen zuzulassen. Die Begründung, dass nicht jede Form Beschneidung ganz so furchtbar sein muss wie diejenigen die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen halte ich für bestenfalls am Thema vorbei formuliert, wenn dass Recht auf körperliche Selbstbestimmung schlichtweg ignoriert wird.

Lykurg
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Do 15. Nov 2012, 01:48 - Beitrag #126

Stimmt, Maglor, die begriffliche Differenz zwischen männlicher Beschneidung und weiblicher Genitalverstümmelung ist ziemlich wirkungsmächtig. Daß die Mädchenbeschneidung von Frauen durchgeführt wird, wußte ich nicht; immerhin - aber in der Sache ändert es eher wenig.
Zitat von Malte279:Ich halte es schlicht und einfach für das Problem vieler Religionen, dass eine so vehemente Verweigerungshaltung gegen Versuche besteht etwas zu verändern, etwas neues zu anzunehmen, etwas altes nicht mehr zweckdienliches aufzugeben oder auch unterschiedliche Einstellungen in Detailfragen der Religionsausübung innerhalb einer Glaubensrichtung zu akzeptieren. Vor allem wegen dieser Starrheit des Denkens ist es in der Geschichte oft genug zu Spaltungen und Konflikten gekommen die mit etwas mehr Flexibilität hätten gelöst werden können.
In meinen Augen ist Zweckdienlichkeit für die meisten Religionsgemeinschaften kein relevantes Kriterium, die Jenseitsbezogenheit etwa von Christentum und Islam nimmt jedem rein diesseitigen Nutzendenken die Berechtigung. Toleranz nach innen und außen zu erlernen, ist ein langwieriger Prozeß. Der Versuch, dies von außen durchzusetzen, wird zu großem Widerstand führen, wenn es nicht gleich zum Scheitern verurteilt ist.

Maglor
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Di 16. Jul 2013, 22:47 - Beitrag #127

Pünktlich zum Sommerloch kehrt auch die Vorhaut zurück ins Rampenlicht, da der Bundestag sich ja mit dem entprechen Gesetz verabschiedet hat.
Nunmehr ist jede Veränderung weiblicher Schamlippen strafbar, während quasi jede Form der Beschneidung der männlichen Vorhaut bei Knaben jeden Alters straffrei ist.
Da versteht es sich nun selbst, dass sich die muslimische Vulva nun gegenüber den Schwänzen benachteiligt fühlt.

Sehr stichhaltig und entlarvend:
"Erstens: Die Beschneidung von Mädchen heißt in allen Formen "Verstümmelung", die der Jungen stets nur Beschneidung. Zweitens steht für die Beschneidung von Mädchen das Säbeln der Klitoris mit einer Glasscherbe oder Rasierklinge in Afrika, unter der Beschneidung von Jungen stellen sich die meisten Menschen einen medizinisch einwandfreien Eingriff vor. Drittens gilt für religiöse und ethnische Motive, dass man vor ihnen bei der Jungenbeschneidung großen Respekt haben muss, während sie bei der Mädchenbeschneidung nur Scheinlegitimationen sadistischer Barbarei sind. Und daher sind viertens auch die mildesten Formen der Beschneidung von Mädchen stets etwas "völlig anderes" als noch die radikalste Beschneidung eines Jungen. Fünftens: Alle Formen der Mädchenbeschneidung führen zu schlimmsten körperlichen wie seelischen Schäden; alle Beschneidungen von Jungen verlaufen komplikationsfrei und haben keine nennenswerten Folgen. Mit der Wirklichkeit hat das alles wenig zu tun. "Zeit

Leider hat der Journalist das R-Wort nicht genannt.
Grundlage der im Sinne der politschen Korrektheit vorherrschen Position ist nämlich nichts anderes als Rassismus. Während sich die Beschneidung der männlichen Vorhaut als respektables jüdisch-muslimisches Erbe daherkommt, erscheint die Beschneidung von Mädchen nur als die wilde Barbarei der Neger, die mit dem "echten Islam", denn wir alle ja viel besser kennen als diese Kaffern mit ihrem Voodoo-Muselmanentum, nichts zu tun hat.

e-noon
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Mi 17. Jul 2013, 12:48 - Beitrag #128

Oder auch nicht. So schlimm ich persönlich jede Art von Beschneidung auch finde - selbst bei örtlicher Betäubung und keinen Langzeitschäden sollten solche Eingriffe meines Erachtens nur bei medizinischer Notwendigkeit erfolgen, man sollte nicht auf Gutdünken an seinem Baby herumschnippeln dürfen - männliche und weibliche Beschneidung sind deswegen grundlegend anders, weil bei männlichen Organen Haut entfernt wird, ohne die ein schmerzfreies, befriedigendes Sexualleben nach kurzer Zeit möglich ist, während bei Frauen tatsächlich Organe gezielt entfernt werden, um sexuelle Lust und Selbstbestimmung einzuschränken. Rassistische Motive halte ich schon deshalb für weit hergeholt, weil die Ressentiments gegenüber Muslimen in Deutschland derzeit deutlich größer sind als die gegenüber Afrikanern.

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 10:52 - Beitrag #129

Kann Tonio Walter da auch nur teilweise zustimmen. Bei der männlichen Beschneidung kann zwar auch einiges schief gehen, aber das Ziel dabei ist nicht die Verstümmelung als solche. Die weibliche Beschneidung zielt wesentlich auf die Verstümmelung; es ist bekannt, dass in Kulturen, in denen die weibliche Beschneidung in der Tradition verankert ist, diese Praxis damit begründet wird, dass beschnittene Frauen aufgrund ihres reduzierten Lustempfindens sexuell treu seien.

Von daher ist die weibliche Beschneidung nach humanistischen Standards ein absolutes NoGo, ohne wenn und aber, und dies unabhängig von nationaler, kultureller oder religiöser Zugehörigkeit.

Das sehe ich bei männlicher Beschneidung aufgrund der anderen Zielrichtung nicht in dieser Eindeutigkeit. Dieses Problem hatten wir ja schon diskutiert, ohne zu Einvernehmen gekommen zu sein. Der Kern der Frage dreht sich um den Konflikt zweier Grundrechte nach humanistischen Standards, dem der freien Religionsausübung nach Maßgabe der jeweiligen Religionen und dem der körperlichen Unversehrtheit. Die Wichtung dieser beiden Grundrechte hängt in hohem Maße davon ab, wer wichtet, und das heißt, es gibt hier keine interessenunabhängige Wichtung.

Ich wünschte mir, es wäre in Kreisen betroffener Frauen besser bekannt, dass die weibliche Beschneidung relativ einfach rückgängig gemacht werden kann.

Malte279
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Do 18. Jul 2013, 11:26 - Beitrag #130

Das Problem bei der ganzen Sache ist ja, dass die Religionsfreiheit an der Vorhaut eines anderen, des noch nicht entscheidungsfähigen Kindes, ausgeübt wird. Ich glaube nicht dass jemand ein Problem mit dem Recht auf Religionsausübung hätte wenn jemand für sich entscheidet für die Religion Abschnitte in punkto körperlicher unversehrtheit hinzunehmen. Mit dem Prinzip dass das Recht des Individuums die Fäuste zu schwingen dort endet wo die Nase einer anderen Person beginnt ist die Beschneidung von Säuglingen meines erachtens nicht vereinbar und würde wohl unter keiner anderen Prämisse als der der Religionsausübung hingenommen werden.

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 11:39 - Beitrag #131

Dieser Standpunkt ist einer der möglichen, aber das ist ein endloses Pingpong-Spiel um die Frage des Vorrangs der Perspektiven.

Maglor
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Do 18. Jul 2013, 19:43 - Beitrag #132

Zitat von Ipsissimus:Die weibliche Beschneidung zielt wesentlich auf die Verstümmelung]
Ist das jetzt mehr als eine Unterstellung?
Welche Gründe werden den in Ägypten, Äthiopien, Kenia oder Somalia tatsächlich für die Beschneidung genannt?

Und das Ziel der männlichen Beschneidung ist auch die Verstümmelung als solche.
Etliche Religionsvertreter jüdischer und muslimischer Seite beharren darauf, die Beschneidung sollte oder müsste ohne Betäubung durchgeführt werden. In Südafrika gilt der Schmerz und das Risiko der Beschneidung ganz offen als zentrales Motiv des Initiationsritus.
Als Anleitung kann natürlich auch 2. Moses 4, 25 dienen:
[INDENT]Da nahm Zippora [das Weib des Moses] einen scharfen Stein, schnitt die Vorhaut am Glied ihres Sohnes ab und berührte damit die Scham von Mose. Dabei sagte sie: "Du bist mir wirklich ein Blutsbräutigam!"[/INDENT]

Zitat von e-noon:während bei Frauen tatsächlich Organe gezielt entfernt werden, um sexuelle Lust und Selbstbestimmung einzuschränken.

Dass bei der Beschneidung gemäß Sunna gar keine Infibulation durchgeführt wird, scheint wohl niemanden zu interessen, genauso wenig wie die Tatsache, dass das in zivilisierteten Gefilden wie Ägypten mittlerweile Ärzte mit sterilem Besteck und nicht mehr Großmütter mit gebrauchten Rasierklingen, Scherben oder Steinen durchführen.

Zum Punkt Rassismus:
Wäre die männliche Beschneidung keine jüdische Sitte, spräche nichts dagegen sie ganz zu verbieten. Genauso ist es beim Schächten. Wenn die Synagogen ein Minarett haben wollten, wäre das kein Problem.
Aber die im Judentum die weibliche Beschneidung (außer in Ausnahmefällen) nicht üblich ist, kann man sie natürlich verbieten. Hierbei hält man natürlich an Klischees fest, wie etwa dem, dass das natürlich mit verratzen Klingen im Busch durchgeführt wird, gewissermaßem ein Afrika-Klischee das verallgemeinert wird. Dass die männliche Beschneidung teilweise unter ähnlichen Bedingungen durchgeführt, interessiert nicht - selbst wenn es Tote gibt.

Traitor
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Do 18. Jul 2013, 21:00 - Beitrag #133

@Ipsissimus: Was ist denn bitte an "nach humanistischen Standards ein absolutes NoGo" anders als an "Konflikt zweier Grundrechte nach humanistischen Standards"? Einen Kategorienunterschied kann ich da beim besten Willen nicht ausmachen. Es ist die gleiche Abwägung zwischen kulturreligiöser Freiheit der Eltern und körperlicher Unversehrheit des Kindes. Nur wird im weiblichen Fall der Körper schlimmer verletzt und die religiöse Einschränkung ist weniger (bzw. gilt als weniger) fundamental. Also kann ich durchaus nachvollziehen, dass für dich genau da die Grenze verläuft. Aber je nach persönlicher Gewichtung der beiden Grundrechte kann man die Grenze auch beide umfassend oder beide ausschließend ziehen. Alle drei Schlüsse sind methodisch äquivalent.

Maglor
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Do 18. Jul 2013, 22:06 - Beitrag #134

Die deutsche Rechtsprechung hat bereits mehrfach festgestellt, dass die weibliche Beschneidung in jeder Form sittenwidrig ist. Die Durchführung ist daher auch strafbar, wenn die betroffene, volljährige Frau in den Eingriff einwilligt hat.
Ist eine maßlore Bewertung eines kulturellen Ritus denkbar?
Die weibliche Beschneidung ist klar in der dortigen Sitte begründet.

Ipsissimus
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Do 18. Jul 2013, 22:46 - Beitrag #135

Zitat von Traitor: Aber je nach persönlicher Gewichtung der beiden Grundrechte kann man die Grenze auch beide umfassend oder beide ausschließend ziehen. Alle drei Schlüsse sind methodisch äquivalent.
und wo siehst du den Unterschied zwischen dem, was du da schriebst, und dem
Dieser Standpunkt ist einer der möglichen, aber das ist ein endloses Pingpong-Spiel um die Frage des Vorrangs der Perspektiven.
was ich da schrieb?

Traitor
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Do 18. Jul 2013, 22:49 - Beitrag #136

Ok, vielleicht nur ein Missverständnis. Deine beiden Beiträge kamen in Kombination bei mir so an, als sei es für dich bei Jungen eine Frage von Vorrängen und Standpunkten, bei Mädchen aber eindeutig und nicht subjektiv interpretierbar.

Ipsissimus
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Fr 19. Jul 2013, 13:01 - Beitrag #137

Es ist die gleiche Abwägung zwischen kulturreligiöser Freiheit der Eltern und körperlicher Unversehrheit des Kindes.
von dem vorher Gesagtem unabhängig: ich sehe nicht, dass diese beiden zur Debatte stehenden Probleme auf demselben Level angesiedelt sind. Die Verstümmelung kleiner Mädchen zielt von vornherein nicht auf ein höheres Gut zugunsten dieser kleinen Mädchen oder der Frauen, die diese einmal sein werden, sondern auf die Festigung des Machtzugriffs von Männern. Die Beschneidung von Männern zielt zumindest in der Theorie der Religiösen auf ein höheres Gut zugunsten der kleinen Jungs und der Männer, die diese einmal sein werden, was auch immer der Nichtreligiöse davon halten mag.

Traitor
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Sa 20. Jul 2013, 22:15 - Beitrag #138

Die Vertreter der weiblichen Beschneidung/Verstümmelung können genauso gut behaupten, den Opfern zu größerer Treue zu verhelfen und ihnen damit ein "höheres (religiöses) Gut", ein besonders treues und gottgefälliges Leben, zu verschaffen. Das ist das Grundproblem daran, religiöse Freiheit als völlig gleichberechtigtes Grundrecht zu zählen - mit ihr kann man jeden Blödsinn und jede Grausamkeit begründen, da sie im Gegensatz zu anderen, weitgehend objektiven Grundrechten sich rein auf die Innenperspektive bezieht.
Will man die Auswüchse religiös begründeter Praktiken eindämmen, kommt man nicht darum herum, das Religionsgericht für sekundär zu erklären. Und will man es nicht ganz abschaffen, sondern manche Praktiken unterbinden, manche aber zulassen, kommt man nicht darum herum, schwere oder minderschwere Verletzungen dieses Rechts gegen schwere oder minderschwere Verletzungen anderer Rechte abzuwägen.

Ipsissimus
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Sa 20. Jul 2013, 23:21 - Beitrag #139

Die Vertreter der weiblichen Beschneidung/Verstümmelung können genauso gut behaupten, den Opfern zu größerer Treue zu verhelfen und ihnen damit ein "höheres (religiöses) Gut", ein besonders treues und gottgefälliges Leben, zu verschaffen
das behaupten sie aber nicht^^

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So 21. Jul 2013, 13:27 - Beitrag #140

Ich bin zum Einen sicher kein Experte für die sozioethnoreligiösen Hintergründe und sehe zum Anderen auch ein, dass die religiöse Begründung sicher schwächer verbreitet ist als bei Jungen. Trotzdem der Einfachheit halber ein paar WP-Zitate, die zeigen, dass religiöse Begründungen zumindest existieren:
In den Ländern, in denen die Mädchenbeschneidung üblich ist, nehmen vor allem ungebildete Gläubige häufig an, sie sei religiös vorgeschrieben. Im Islam ist dies je nach Auslegung auch Lehrmeinung
Nur die Schafiiten halten sie für eine religiöse Pflicht.[125] In den Ländern des Nahen Ostens und Ostafrikas, in denen die schafiitische Rechtsschule dominiert, ist sie deshalb auch allgemein verbreitet.


Außerdem möchte ich provokant behaupten, dass der Unterschied zwischen "religiöser" und "traditioneller" Begründung aus einer relativistischen Perspektive doch auch nur der Innenperspektive der "Betroffenen" zustünde...
("Betroffene"=Täter in diesem Fall)

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