Elbvertiefung / Tiefwasserhafen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mo 28. Okt 2013, 14:34 - Beitrag #1

Elbvertiefung / Tiefwasserhafen

(aus dem Thread zur Hamburger Bürgerschaftswahl 2011 )
Zitat von janw:
Zitat von Lykurg:Das ändert nichts daran, daß diese Elbvertiefung dringend gebraucht wird. Selbstverständlich müssen die Auswirkungen auf Strömungsverhalten und Umwelt beobachtet und nach Möglichkeit kompensiert werden. Aber je weiter die Schiffe 'ins Land' und zu den bestehenden Anlagen (Rangierbahnhof Maschen, der größte europäische Güterbahnhof) kommen, um so besser.

Das verstehe ich ja so weit. Nur sollte man IMHO gleichzeitig gewärtigen, daß das Ganze fürchterlich in die Hose gehen kann, mit einer unkontrolliert erodierenden Strömung, die Fahrrinnen zusandet und verlagert, Böschungsbrüche auslöst, bis hin zur Behinderung des Verkehrs. Vielleicht muss die Vertiefung sogar abgebrochen werden, wer weiß? Und dann?
Und was macht man mit der nächsten Schiffsklasse? Die sicher irgendwann kommt.

Welche Alternativen siehst du denn, eine völlige Verlagerung auf den geplanten Tiefwasserhafen Wilhelmshaven? Dafür muß die Gleisanbindung überhaupt erst noch geschaffen werden, und bis deren Leistungsfähigkeit ausreicht... würden dann eben LKWs verkehren müssen.

Maschen ist das große Prä von Hamburg.
Also von der Logik wäre Wilhelmshaven der optimale Standort - direkt am Tiefwasser, ohne irgendwo rein oder raus zu müssen.
Eine der Sachen, die ich überhaupt nicht verstehe ist der nicht erfolgte Ausbau der Bahnstrecke Oldenburg-WHV. Wenn schon auch der Bund so viel Interesse an dem Hafen bekundet, dann wäre das IMHO DAS Begleitprojekt dazu gewesen. Wäre auch planungsrechtlich recht leicht zu stemmen, da es nur um den Ausbau einer bestehenden Strecke ginge.
Dann am besten noch ein Verteilzentrum "Maschen in klein"...
Inzwischen habe ich mich etwas tiefer in die Materie Elbvertiefung eingelesen, und finde insbesondere die Argumente der Bewohner der Hadelner Marschen schwerwiegend. Recht eindrucksvoll ist z.B. der Wikipediaartikel zum Glameyer Stack. Trotzdem bleibt es eine schwierige Abwägung, ob uns Flutsicherheit oder kurze Transportwege wichtiger sind. Hamburg hat eine sehr hohe Weiterverarbeitungsrate - während etwa 30% der hier angelieferten Güter vor Ort verarbeitet und veredelt werden, wären das in Wilhelmshaven 1% bzw. in Bremen 10%. Das spart Unmengen von Einzelfahrten. Darüber hinaus haben wir nun einmal eine neue Klasse großer Schiffe, die für die derzeitigen Handelsströme entscheidendes Wachstumspotential bieten, eben weil diese neuen Schiffe effizienter, sauberer und billiger transportieren können als alle bisherigen Typen. Sich davon abzukoppeln, wäre ein Fehler. Die drei Häfen sollten zusammenarbeiten, um Potential zu bündeln, aber Container 'blitzschnell über die Autobahn zu verschieben', wie die taz herbeifabuliert, ist bei diesen Gütermassen Unfug. Die Schiffe würden nicht nach Wilhelmshaven ausweichen, sondern nach Rotterdam und Antwerpen (sie tun es jetzt schon teilweise). Dabei geht es um Milliardensummen (und eine Differenz von vielleicht 50.000 Arbeitsplätzen), insofern wäre es angemessen, wenn Stadt und Hafenwirtschaft sich an den Kosten von erweiterten Küstenschutzmaßnahmen großzügig beteiligen (es ist etwa ein Unding, wenn für die Erneuerung einer Schleuse das Geld fehlt und die Deichlinie damit dort perforiert ist). Aber ohne die Erweiterung wird es kaum gehen.
Wie ich soeben dem Spiegel entnahm, scheint es in Wilhelmshaven nun tatsächlich ganz und gar nicht rund zu laufen. Möglicherweise ist die von janw bemängelte zu schlechte Bahnanbindung mitursächlich; oder die fortbestehende Konkurrenz mit Hamburg. (Eine Lösung à la BER wäre es gewesen, bereits ein bis fünf Jahre vor der geplanten Fertigstellung alle anderen deutschen Hochseehäfen stillzulegen und zuzuschütten, um eine derartige Konkurrenz zu verhindern.^^) Andererseits scheinen da aber auch massive Fehlplanungen vorzuliegen, insbesondere was den konkreten Bedarf angeht, ich denke aber auch, daß die bereits angesprochene Weiterverarbeitung vor Ort eine erhebliche Rolle spielt. Wessen Kopf soll dafür rollen?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 28. Okt 2013, 15:13 - Beitrag #2

Die Nordsee ist ohnehin so gut wie tot - was soll es da, die letzten 50+ km Elbe am Leben zu erhalten? Natürlich ist das eine äußerst zynische Perspektive, andererseits sieht man an der Elbvertiefung, welchen Wert der Umweltschutz in Deutschland wirklich hat. Es ist zwar immer wieder ein Quell der Erheiterung, den Versicherungen der Politiker zu lauschen, die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie propagieren, sich um die Ökologie aber nur soweit scheren, als sie der Ökonomie nicht in die Quere kommt - was Alibi-Maßnahmen im Einzelfall nicht ausschließt, vor allem, wenn Medien anwesend sind. Man könnte es aber auch, in zynischer Übersteigerung, sogar als regelrecht erfrischend bezeichnen, wenn der Weg von Nordsee und Nordseeküste zu nigerianischen Verhältnissen mal frei von verlogenen Versprechungen gezeichnet würde.

Verhältnisse wie diese sind es, die mich immer wieder in der Überzeugung bestätigen, dass es keinen Halt auf dem Weg in den Untergang geben wird, solange für die Nutznießer nur Geld fließt. Dabei ist es längst schon keine Frage von Arbeitsplätzen mehr - Containerhäfen z.B. werden zunehmend menschenleer -: sachlich ist ein wachstumsorientiertes System schon längst nicht mehr tolerabel, allein, politische und gesellschaftliche Ideologien lassen es weltweit nicht zu, von unserem Größenwahn und unserer Gier abzulassen.

Von daher: scheißegal, welche Lösung für den konkreten Fall gefunden wird. Es ist die verkehrte.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mo 28. Okt 2013, 18:30 - Beitrag #3

Nicht der Containerhafen selbst enthält die Arbeitsplätze - das sind tatsächlich auf gigantischen Flächen rein computergesteurte Verladesysteme, wo kaum je ein Mensch dazwischen gerät.
Die Arbeitsplätze hängen an Hafenwirtschaft und den weiterverarbeitenden Betrieben, die von den kurzen Wegen und nahen Absatzmärkten profitieren.

Es gibt landschaftspflegerisch gesehen durchaus unschönere Gegenden als die Elbmündung. und 'so gut wie tot' ist das Gewässer auch nicht - die Wedeler Marsch und das vorgelagerte Süßwasserwatt z.B. werden als Erholungsgebiet von Menschen und Vögeln gleichermaßen geschätzt - da ist auch mir nicht egal, was damit passiert.

Aber was sind sinnvolle Alternativen? Deckelung auf bestehende Schiffsgrößen wäre bei weiterer Zunahme des Welthandels ein Standortnachteil. Das Wachstum fände weiterhin statt, nur eben andernorts, möglicherweise mit Abwanderungsfolgen. Dann hat man es mit Leerständen zu tun, und andernorts mit neu versiegelten Flächen (so auch in Wilhelmshaven).

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mo 28. Okt 2013, 23:25 - Beitrag #4

Ich denke, da sind eine Reihe von Dingen zu betrachten.
Für Wilhelmshaven muss man wohl etwas Geduld haben; es handelt sich nicht um einen neuen Hafen im hafentechnischen Nirgendwo, der durch staatlichen Druck zu voller Leistung gelangt, wie z.B. in Dalian, sondern er wurde in eine bestehende Hafen-Landschaft gebaut, in der die Häfen untereinander um die umschlagenden Schiffe konkurrieren. Mit dem Ausbau der Eisenbahnanbindung dürfte der Hafen attraktiver werden, auch für die Ansiedlung von Verarbeitern. Außerdem fällt die Inbetriebnahme in eine Krise der Schifffahrtsindustrie mit massiven Überkapazitäten und sehr niedrigen Frachtraten, in der die Reedereien vielleicht nicht so geneigt sind, neue Häfen in die Linienpläne aufzunehmen. Hier wird es in meinen Augen ein wichtiger Punkt sein, wie sich im Zuge des Flottenumbaus der Tiefgang der Schiffe verändert, ob die diskutierte neue Generation mit größerem Tiefgang wirklich kommt.
Und damit wären wir bei der Elbvertiefung.
Diese zielt nämlich gerade auf eine diskutierte neue Generation von Frachtern mit besonders großem Tiefgang ab, die dann weltweit nur noch wenig Häfen anlaufen können würde. Bisher ist meines Wissens noch keines dieser Schiffe irgendwo in Betrieb, noch in Bau, erst recht keine Flotte, die einen Ausbau wie in Hamburg erforderlich machen würde.

Letztlich denke ich, daß grundsätzlich eine Neubetrachtung der europäischen Verkehrsströme erfolgen müsste mit dem Ziel eine möglichst weitgehenden Vermeidung unbesondere des Straßenverkehrs. In diesem Sinne müsste die Konkurrenz der Häfen zu einer Kooperation aufgelöst werden, so daß die verschifften Güter jeweils dort angelandet werden, wo sie den kürzesten Weg zur Verarbeitung bzw. zum Endabnehmer haben.
Damit würde Rotterdam zum Umschlagsort für den Westen, Wilhelmshaven für die Mitte und Anbindung in Richtung Ruhrgebiet usw., Hamburg für den Osten einschließlich Baltikum.
Dies könnte vielleicht durch Umschlag auf Feederschiffe unterstützt werden, die kleiner und wendiger sind und ihre Ladung zielgerichtet verteilen könnten.
Damit würde sich das Hamburger Tiefgangsproblem zumindest teilweise geben, und die dortige Verarbeitungsindustrie würde trotzdem gut versorgt werden.

@ Ipsi:
Die Nordsee hat einige Probleme, aber gar so tot ist sie nicht. Und die Elbmündung ist da etwas Besonderes, weil es ein durch die Tide beeinflusster Bereich von etwa 100 km Länge mit Brackwasser ist.
Du hast aber ansonsten recht, die von den Politikern beschworene Versöhnung von Ökologie und Ökonomie ist zum Lachen, um nicht auf finstere Gedanken zu kommen, und die Sache hat schon etwas End-zeitliches: Es wäre die letzte Vertiefung, die noch möglich wäre, wenn man nicht die Nordsee nach Hamburg hinein holen wollte.

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
So 10. Nov 2013, 18:53 - Beitrag #5

Lykurg, den Artikel hatte ich auch gelesen und wollte hier dazu schreiben. Dann kam mir ein Urlaub dazwischen und jetzt habe ich diesen Thread in der Halde der "Ungelesenen" gefunden. Praktisch.
Die Nichtausgelastetheit Wilhelmshavens sollte auf den ersten Blick zu einer Aufeislegung sämtlicher Hamburger Pläne führen. Außer, es gibt ganz konkrete Anfragen von Reedern, die Wilhelmshaven wegen der Lage- und/oder Anbindungsmängel nicht anfahren wollen, Hamburg aber schon.

Ipsissimus, der Nordsee geht es nach vielen Kriterien sogar schon wieder deutlich besser als in vergangenen Jahrzehnten. Das Ende der Ölförderung wird sich sicher auch nochmal positiv auswirken, und im Schiffsverkehr sind auch noch deutliche Schadstoffreduzierungen zu erwarten. "Lediglich" der Eintrag von Müll und Schadstoffen vom Land wird wohl immer schlimmer werden, aber das betrifft andere Meere genauso stark oder (dank rückständigerer Anrainer) eher stärker.

Jan, Rotterdam ist sogar 50-100km näher am Ruhrgebiet als Wilhelmshaven (je nach Ende). Rein hinterlandgeographisch ist ein friesischer Hafen zu gar nichts zu gebrauchen. Lediglich als vorgelagerte Tiefwasser-Alternative zu Hamburg, also für Nordostdeutschland und alles dahinter, hat er einen Sinn.


Zurück zu Politik & Geschichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste