@Ipsissimus: Ich denke, man muss deinen Gedanken zumindest etwas präzisieren. Jemand, der unter Druck steht, wird sich tendentiell eher über ethische Grenzen hinwegsetzen. Der Druck mag von einem Geldgeber ausgehen, beispielsweise bei einem Industrieprojekt, oder es kann auch ein selbstinduzierter Druck, Forschungsergebnisse um jeden Preis zu erzeugen, sein. In einem industriell-monetären Geflecht mag der Druck größer sein, aber das sind graduelle Unterschiede. Ethische Grenzen bzgl. Tierversuchen und dergleichen kann der aus Neugier forschende genauso brechen. Vivisektionen in medizinischen Lehrveranstaltungen wären ein Beispiel.
Die Gründe, warum man an einer Sache forscht, sind üblicherweise komplex. Auch Drittmittel von DFG und dergleichen können einen Druck ausüben, an "populären" Sachen zu forschen. Das kann aber auch der Wunsch nach Anerkennung erzeugen. Forschung als bloße Neugier eines Individuums in Reinform ist eine Abstraktion oder ein Sonderfall. Nichtsdestotrotz ist man als Mathematiker üblicherweise schon sehr frei in der Wahl seiner Forschung. In den USA kann (oder konnte) das sogar für militärfinanzierte mathematische Forschung passieren, geschuldet durch ein Übermaß an Mittel in Militärtöpfen.
Darüberhinaus sehe ich sicherlich nicht prinzipiell unethisches, seine Forschungsrichtungen an Mittel aus der Wirtschaft zu koppeln:
1) Häufig sind das Themen, die konkreten Nutzen bringen können. Direkt einem Unternehmen, indirekt aber auch weiteren Kreisen. Das kann man über vieles in der Grundlagenforschung (inkl. meiner eigenen Forschung) nicht sagen.
2) Man kann nicht erwarten, dass man einfach machen kann, was man will und einem das finanziert wird. Das wird schon für erstaunlich viele Leute gemacht (ich verstehe jedenfalls nur teilweise, warum meine mathematische Finanzierung von staatlicher Seite finanziert wird). Es ist in heutiger Zeit schon eine sehr viel größere Zahl von Leuten in recht freier Forschung beschäftigt als in den Jahrhunderten zuvor.
Bei militärischer Forschung mag es heikler sein, aber ich sehe darin nichts prinzipiell verwerfliches, es sei denn, man würde, ein Militär zu haben als etwas verwerfliches sehen. Ich bin froh, dass Deutschland ein Militär hat (wo eine generelle Entwaffnung der Welt nicht realisierbar scheint). Mithin kann es auch nicht prinzipiell verwerflich sein, dafür zu arbeiten, beispielsweise als forschender. Deswegen finde ich Initiativen, militärische Forschung aus Universitäten zu verbannen, auch eher albern.
In die gleiche Kerbe schlägt der Umstand, dass es in vielen Fachbereichen längst selbstverständlich ist, dass, wer nicht imstande ist, die Finanzierung für seine Forschung aufzutreiben, eben nicht forschen kann.
Das ist eine Tautologie.
Also, liebe Forscher, überlasst die Ethik getrost der PR, die verstehen wenigstens was davon und geben den offiziellen Stellungnahmen den Klang der echten, authentischen Betroffenheit, und arbeitet ihr neugierig weiter am Untergang der Menschheit
Als Forscher kann man genauso ethisch oder unethisch sein, wie jeder andere auch, nur dass man, wohl möglich, wenn auch nicht notwendig, anderen Problemen gegenüber tritt. Das gleiche Statement könntest über fast jede Branche machen. Ich habe wenig Hinweise darauf, dass sich Forscher generell nicht um ethische Fragestellungen kümmern würden.
Edit: Ich möchte nochmal betonen: Dass Forschung heute nur noch dem Nützlichkeitsparadigma unterliegt, ist sicherlich eine Legende. Das mag ein Aspekt sein, der in den Vordergrund rückt, aber allein die vielen reinen Mathematiker, die der Staat beschäftigt und finanziert, belegen das Gegenteil. Ich finde es vielmehr verwunderlich, wie viel Geld der Staat ausgibt für Forschung von fragwürdiger Nützlichkeit. Vielleicht sollte man mal dem Bund der Steuerzahler stecken, was die Mathematiker so machen
. 'Perverse Garben' dürften in ihrer PR-Tauglichkeit fast ungeschlagen sein
.