(eigentlich Henri-Alban Fournier)
Der große Meaulnes
Original Le Grand Meaulnes
Fünfteiliger Fortsetzungsroman in La Nouvelle Revue Française, 1913
gelesene Ausgabe: Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013
Otfried Schulze, Cornelia Hasting (Übersetzer)
Der zwischen 1912 und 1913 unter desolaten persönlichen Verhältnissen entstandene Roman Le Grand Meaulnes ist neben dem Romanfragment Colombe Blanchet (1914), dem Gedichtband Miracles, dem Essay Le Corps de la femme (1907) und einigen literaturkritischen Feuilleton-Artikeln das einzige literarische Erzeugnis des Autors Henri Alban-Fournier, der kurz nach der Fertigstellung in den ersten Wochen des ersten Weltkriegs als Soldat während einer Patrouille südlich von Verdun, gerade mal 30jährig, ums Leben kam.
Der Roman begründete den praktisch sofort einsetzenden Weltruhm des Autors, der sich damit in die erste Riege eines Joyce oder Musil hineingeschrieben hatte. Nichtsdestotrotz dürften Le Grand Meaulnes und Fournier als große Unbekannte der Literatur des 20ten Jahrhunderts gelten; ich muss jedenfalls zu meiner Beschämung gestehen, dass ich von der Existenz des Verfassers und des Romans erst zufällig vor ein paar Tagen erfuhr, als ich über ein kurzes Feuilleton zum 100jährigen Geburtstag des Romans stolperte.
Der Roman kommt märchenhaft verträumt daher; alle seine Handlungselemente, Personen und Orte liegen hinter einem Schleier aus Melancholie und Traumhaftigkeit. Im Zentrum steht die große, aber tragische Liebe, mit Bezügen zu dem verworrenen Lebenslauf Fourniers, so dass die Brüche und Irrwege der Handlung einen autobiographischen Hintergrund aufweisen, ohne dass dies überstrapaziert werden muss: Fournier durchlebte als 19jähriger eine unerwiderte und unerfüllte, aber in der Retrospektive gerade deswegen wohl unmäßig überhöhte Verliebtheit, und auch für die letzte tragische Wendung des Romans, die Hingabe an eine andere, aber ungeliebte Frau gibt es eine Parallele in Fourniers Leben.
Das Sujet ist also tragisch aber trivial, typische Spätromantik; die intrigante psychologische Entwicklung, die den Roman vollständig durchzieht und den melancholischen Schleier immer wieder aufreißt, lässt aber zu keinem Moment den Eindruck von Trivialität aufkommen und entspricht viel mehr einer Haltung, die erst im Expressionismus zu voller Schärfe und Blüte kommt. Aus dieser Konfrontation
- eines mehr oder weniger trivialen Gesellschaftsromanen der Zeit adäquaten Handlungsverlaufes - mit Prinz und Prinzessin, armen Studenten, Finden und Verlieren, die große Suche, das rauschende Fest im Landschloss, das Stadthaus in Paris, Liebe und Liebesleid, verschneite Winterlandschaften und erquickende Frühlinge -
mit einem extrem scharfsinnigen und praktisch mitleidslosen Blick für den psychologischen Gehalt einer Situation