Dos Kelb - Donna Donna

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Maglor
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Mi 8. Apr 2015, 21:16 - Beitrag #1

Dos Kelb - Donna Donna

Schon seit ein paar Wochen kreisen meine Gedanken um dieses bekannte(?), besser das wohl bekannteste jiddische Lied.
Die Strophen geben mir eigentlich keine Rätsel auf. Was es mit dem Kalb und der Schwalbe auf sich hat ist offensichtlich.
Ein Rätsel ist mir vor allem der Refrain, ob gerade diese Textstelle eigentlich auch ohne Kenntnis der jiddischen Sprache klar verständlich ist.

Lacht der Wind in Korn,
lacht un lacht un lacht
- lacht er op a Tog a gantsn
un a halbe Nacht


Das Lied wurde von Aaron Zeitlin und Sholom Secunda 1940 für das Musical "Esterke" geschrieben, dessen Inhalt mir nach wie vor völlig unbekannt ist.
Dieser lachende Wind und diese seltsame, grundlose Fröhlichkeit stehen im klaren Gegensatz zum gefesselten Kälbchen und er erscheint mir als Symbol für irgendeine höhere Macht oder Ohnmacht.

Lykurg
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Mi 8. Apr 2015, 23:53 - Beitrag #2

Hmm, über Esterke findet sich schon einiges, schwerpunktmäßig zur sozialen Einbettung, zum Vermächtnis und zur literarischen Verarbeitung. Letzteres gibt auch Hinweise zu Zeitlins Roman Esterke un Kazimir der groyser, der im Zweifel Grundlage des Musicals ist (FN 73 und 82); die auf S. 18ff. beschriebene Trivialromanhandlung dürfte zumindest erhebliche Parallelen aufweisen.

Das Lied könnte in diesem Zusammenhang zB auf Esterkes Verbundenheit mit dem jüdischen Volk in seiner schwierigen Lage hinweisen, das sie ähnlich der Schwalbe aus einer Position relativer Freiheit beobachtet. Das Lied kann auch den direkten Bezug auf seine Entstehungszeit haben. Das Lachen des Windes muß nicht fröhlich sein, es könnte auch höhnisch, schadenfroh oder einfach verrückt sein. Ich sehe darin eher etwas wie Gleichgültigkeit der unbelebten Natur gegenüber dem kurzlebigen Handel und Wandel der Menschen und Tiere.

Maglor
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Do 9. Apr 2015, 18:57 - Beitrag #3

Gerade über die Bedeutung des Lachens habe ich mir den kopf zerbrochen. Dumpfe Fröhlichkeit oder böser Spott? Eventuell ist der Wind auch im Zusammenhang mit dem Vogel zu sehen, der ja vielleicht mit dem Wind sein Spiel treibt.
Ich habe dann auch darüber nachgedacht, ob der Wind im Korn in altestamentlicher Sicht etwas bedeuten könnte. Eingefallen ist mir jedoch nichts. Genauso unklar ist ob "Donnaj Donnaj" etwas mit Adonai zu tun hat oder nicht.

Das Lied wird heute meistens im Zusammenhang mit dem Holocaust betrachtet und rezipiert. Mit dem zeitlichen Kontext passt das aber gar nicht zusammen. Zur Zeit der Entstehung des Liedes gab es noch gar keine Vernichtungslager, zumal die Geschichte Esterke offenbar im Mittelalter spielt.

Lykurg
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Do 9. Apr 2015, 23:08 - Beitrag #4

Ja, das ist mir auch aufgefallen, Entstehungszeit des Musicals ist mit 1940/41 eigentlich noch zu früh für die Deutung, es sei denn - darum formulierte ich so offen - Deportation genügt. Vertreibungen und Pogrome fanden selbstverständlich auch schon zu Esterkes Zeit statt, genau das ist ja auch Teil der Geschichte.

Das Donaj würde ich nicht auf Adonai beziehen, das widerspräche meines Erachtens abgesehen von fragwürdiger Etymologie auch den jüdischen Sitten, mit dem Gottesnamen respektvoll umzugehen, außerdem "... Don". Hier wird u.a. verbreitet, es handle sich beim Original "Dana" um einen polnischen Hirtenruf. Mit einer verläßlichen Zweitquelle würde ich die Deutung schon als sehr viel plausibler einschätzen, habe jetzt aber nur ein polnisches Kinderlied ohne passenden Inhalt gefunden, dessen Refrain ""Hopsa, hopsa, dana, dana" enthält.

Ipsissimus
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Fr 10. Apr 2015, 10:06 - Beitrag #5

Zitat von Maglor:Gerade über die Bedeutung des Lachens habe ich mir den kopf zerbrochen. Dumpfe Fröhlichkeit oder böser Spott?


Erinnert mich ein bisschen an die Szene aus Hesses Steppenwolf, als Harry Mozart sein Leid klagt und von Mozart ausgelacht wird. Zuerst ist Harry bitterböse auf Mozart, aber im Laufe der Zeit kommt er dahinter, was Mozart meint und was Harrys Fehler war.

Maglor
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So 12. Apr 2015, 10:14 - Beitrag #6

Zitat von Lykurg:Ja, das ist mir auch aufgefallen, Entstehungszeit des Musicals ist mit 1940/41 eigentlich noch zu früh für die Deutung, es sei denn - darum formulierte ich so offen - Deportation genügt.

Die großen Zentren der jiddischen Kultur im Baltikum, der Ukraine und im östlichen Polen waren damals - nach der Teilung Polens zwischen Hitler und Stalin - sowjetisch besetzt. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion und der Ausdehnung der antisemitischen deutschen Politik auf Osteuropa hat man wahrscheinlich niemand so wirklich gerechnet. (Eigentlich will ich hierzu aber keine Debatte vom Zaun brechen.) Die jiddische Szene in den USA, die das Liedl ja hervorgebracht hat, war insbesondere durch die Flüchtlinge aus dem russischen Bereich geprägt, die bereits vor den Progromen der Zarenzeit oder des Bürgerkrieges geflohen war. 1940 war vielleicht noch gar nicht klar, dass es diesmal noch schlimmer kommen sollte.
Man könnte jetzt natürlich auch schon über jüdischen Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich nachdenken, aber die sprachen ja in aller Regel kein jiddisch.


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