Die Roten und die Grauen

Der Kaktus auf dem Fensterbrett und der bedrohte Regenwald, Haustiere, die uns zu Kühlschrankbutlern erziehen, Wildtiere, die ihre Lebensräume verlieren, Reisen in die Einsamkeit und Erkundungen von Städten.
Traitor
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Sa 19. Nov 2016, 01:11 - Beitrag #1

Die Roten und die Grauen

Wenn wir schon bei zoologischem Rassismus und Protektionismus sind, darf das vermutlich emotionalste derartige Thema eigentlich nicht fehlen: Eichhörnchen. Die grauen Amerikaner sind bekanntlich größer, fetter, dreister und durchsetzungsstärker als die roten Europäer.
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Grey Squirrel--St-Jamess-Park-London-1 [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], by KGGucwa (Own work), from Wikimedia Commons
Red Squirrel - Lazienki [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)], by Pawel Ryszawa (Own work), from Wikimedia Commons

In Großbritannien ist die (nie ernsthaft geführte) Abwehrschlacht seit langem so gut wie verloren; dass es mittlerweile auch in Italien so weit sein soll, war mir neu, bedeutet aber wohl, dass man bald auch mit einer Invasion über die Alpen rechnen muss. Interessant auch, dass die kleine Roten wohl ihrerseits drüben in Japan die noch zierlicheren Einheimischen (auch rot) bedrohen.

Die Lösung ist dabei doch eigentlich ganz einfach, besonders den kompromissliebenden Schweizer sei sie nach dem unvermeidlichen Fall der Alpenfestung ans Herz gelegt: man importiere einfach zentralamerikanische Photoshop-Hörnchen !

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Grote gevlekte boomeekhoorn - Sciurus Variegatoides Loweryi [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 4.0-3.0-2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by- ... .5-2.0-1.0)], by Sander van Gijssel (Samara - Costa Rica), from Wikimedia Commons



Aber der vielleicht größte Skandal dabei: es gibt auch weiße Amerikaner, schwarze Amerikaner oder gar schwarze Europäer!

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AlbinoGraySquirrel [Public domain], by No machine-readable author provided. Hardyplants assumed (based on copyright claims)., from Wikimedia Commons

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Schwarzes Eichhörnchen [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], by Agnete (Own work), from Wikimedia Commons

Lykurg
[ohne Titel]
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Sa 19. Nov 2016, 18:35 - Beitrag #2

Oh, das wäre ja eigentlich ein summon-blobbfish-Thread...

Schön, daß du das Thema aufgreifst! Bezogen auf Großbritannien habe ich gelegentlich auch Verbreitungskarten gesehen - da scheint es ja noch ein paar kleine Taschen zu geben, in denen noch rote zu finden sind - aber generell, ja. (1/Japan) und Italien waren mir auch neu, wobei ich deren Alpenquerung für eher schwierig halte, in Ermangelung von genügend Nüssen für unterwegs. Ein schwarzes habe ich dagegen sogar mal in Hamburg in freier Wlldbahn beobachtet. Möglicherweise im Zweitberuf Schornsteinfeger.

Maglor
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Sa 19. Nov 2016, 20:01 - Beitrag #3

Die Fellfarbe der Einwanderer ist gar nicht das eigentliche Problem. Sie übertragen gefährlichen Infektionskrankheiten. Sie vermehren sich ungezügelt und getauft sind sie auch nicht.
Anscheinend fehlt die italienischen Grauhörnchenpoulation das entscheidende Virus. Die englischen Grauen übertragen die Hörnchenpocken. Sie sind ihr Erfolgeheimnis.

Eigentlich war ich mich mir sicher, dass ich vor mehr zwanzig Jahren bereits Grauhörnchen im Schwarzwald beobachten konnte, aber vielleicht war das nur eine oberflächliche Einschätzung. Es gibt auch graustichige Varianten des euro. Eichhörnchen, die sich farblich nur geringfügig von idealtypischen Grauhörnchen unterscheiden.

Eichkatzl
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Auch die Ohren kommt es an!

B-Hörnchen
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In den Medien wird vor allem von den Roten als bedrohte Art gesprochen. So ernennen viele Leute die dunkleren gefärbten Eichhörnchen automatisch zum Feind. Hinzu kommt noch, dass die Fellfärbung der europäischen Hörnchen im Winter auch einen graustich an den Flanken aufweisen kann.

Man muss also sehr behutsam sein, in welche Kategorie man ein Eichhörnchen einteilt. Denn die Verwechslungsgefahr ist enorm. So wurde auch schon ein Eichhörnchen in unserer Station abgegeben, mit der Bitte es zu töten, es sei einer dieser Fremdlinge, dabei hatte es nur eine sehr dunkle Fellfärbung.

http://www.eichhoernchenstation.ch/grauhornchen.html

Traitor
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Sa 19. Nov 2016, 21:01 - Beitrag #4

Bezogen auf Großbritannien habe ich gelegentlich auch Verbreitungskarten gesehen - da scheint es ja noch ein paar kleine Taschen zu geben, in denen noch rote zu finden sind

Hier gibt es eine sehr schöne. Bisher sind mir hier nur (sehr zutrauliche) Graue begegnet, für Rote muss man wohl raus in die Wildnis.
Zitat von Lykurg:wobei ich deren Alpenquerung für eher schwierig halte, in Ermangelung von genügend Nüssen für unterwegs

Sicher nicht mitten durch (obwohl man vielleicht das Szenario bedenken sollte, dass sie beim Vorratsvergraben in einen Basistunnel durchbrechen, oder diesen als blinde Passagiere bereisen; via der zweiten Methode böte sich auch als Invasionsroute von England auf den Kontinent der Eurotunnel an, quasi ein Austauschprogramm mit Calais-Flüchtlingen), eher entlang der Peripherie:
Zitat von https://en.wikipedia.org/wiki/Eastern_grey_squirrels_in_Europe#Predicted_spread_throughout_Europe:Spatially explicit population dynamics models were used by Bertolini et al. 2008 to predict the spread of the grey squirrel populations present in Italy in 1996: the Piedmont, Genoa, and Ticino populations.[9] The models examined potential corridors that would allow grey squirrels to invade France and Switzerland and the time scale of such invasions.[9] In a scenario based on a random pattern of good, poor, and mast year seed crops (vegetation produces significant abundance of food resources), in the “best case” scenario, grey squirrels will reach the Western Alps between 2026 and 2036, France between 2066 and 2071, and Switzerland between 2051 and 2066.[9] In a scenario where poor year seed crops were not included, the “worst case” scenario, grey squirrels will reach the Western Alps by 2015, France by 2026, and Switzerland between 2031 and 2041.[9] Along the border between France and Italy, the forest cover is mainly composed of mixed broadleaf trees; this represents a likely corridor to France for the grey squirrel.[9] Mixed deciduous woodland lines the Ticino river; this area connects with contiguous hardwood on the side of Lake Maggiore in Switzerland, making the area along the Ticino river a likely corridor for the grey squirrel to invade Switzerland.[9] The upper portion of the Alps is covered largely by coniferous forest.[9] Grey squirrels, which are heavier than native red squirrels, have a higher energy requirement than red squirrels.[9] It may be difficult for the grey squirrels to attain their higher energy requirement in this environment because they may have difficulty reaching the small seeds contained in the conifers’ cones; for this reason, grey squirrel performance in this habitat will affect the spread of the species.[9] Eventually, if populations are left unchecked, the grey squirrel will spread through a large portion of continental Europe and Eurasia, potentially invading the entire global distribution of the red squirrel.[2]


Der Artikel enthält auch einige interessante Formulierungen, auf "eliminate the threat of grey squirrel invasion into Switzerland for the next 100 years" wäre die SVP sicher stolz, und selbst Goebbels hätte vermutlich nur das Fehlen einer weiteren 0 zu bemäkeln.


Maglor, wenn sie wie auf deinen Bildern kauern, kann man sie vielleicht noch verwechseln und muss gut auf die Ohren achten, in Bewegung oder ausgestreckt ist die Unterscheidung aber recht offensichtlich.

Die englischen Grauen übertragen die Hörnchenpocken.
Das kann man wohl nur als die Revanche der amerikanischen Fauna für die Ereignisse ein paar hundert Jahre vorher interpretieren. Ach ja, auf das Thema gekommen war ich nicht nur durch die Käfer (war da nicht auch mal was mit einer "British Invasion"? ;)), sondern auch durch diesen Lepra-Report.

Anscheinend fehlt die italienischen Grauhörnchenpoulation das entscheidende Virus.
Sicher? Bisher habe ich nur verallgemeinernde Texte gefunden, die vermischt von beiden Populationen reden und das Virus ohne spezifische Zuschreibung behandeln, aber keine Quellen, die sein Vorkommen in Italien explizit bejahen oder verneinen.

So wurde auch schon ein Eichhörnchen in unserer Station abgegeben, mit der Bitte es zu töten, es sei einer dieser Fremdlinge, dabei hatte es nur eine sehr dunkle Fellfärbung.

Die boshaften politischen Parallelen ziehen sich von selbst.

Maglor
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Sa 19. Nov 2016, 21:31 - Beitrag #5

Ich glaube nicht, dass die Angaben der Schweizerischen Eichhörnchenstation der Weisheit letzter Schluss sind. Vieles scheint auf eigener Erfahrung zu beruhen. Die Aussage über Grauhörnchen und Viren wird immerhin mit TV-Sendung von 3Sat belegt. Wissenschaftlicher Anspruch fehlt offensichtlich. Die Eichhörnchenstation hat andere Aufgaben und Ziele.
Die Stärke der dortigen Abhandlung ist, dass sie das Zusammenspiel zwischen Grauhörnchen und Menschen in den Vordergrund rückt, etwa den Zusamenhang zwischen der Haltung als Heimtier und dem Neozoon.
Ich habe schon viel schlimmeres gelesen, z.B. dein Zitat aus der englischen Wikipedia. Irgendwas sagt mir, dass diese Hochrechnungen zur Invasion der grauen Hörnchen unseriös sind.

Interessant sind auch die Angaben zu den Farbvarianten der Europäer.

Das europäische Eichhörnchen gibt es in der Natur nur in rot, braun bis zu schwarz. Ganz selten entstehen auch Albinos mit weissem Fell, diese sind aber oft blind und taub.

Gescheckte Formen kommen nur in der Zucht vor.
...
Eichhörnchen leben in Europa in allen Höhenlagen bis zu 2200 Meter. Generell lässt sich sagen, dass in den höher gelegenen Gebieten, eher Eichhörnchen mit dunkelbraun bis ganz schwarzem Fell leben. Dies führt man auf die fetthaltigere Ernährung (z.B. Arvensamen) zurück. In tiefer gelegenen und wärmeren Gegenden gibt es vermehrt braune bis ganz hellrote Eichhörnchen.

http://www.eichhoernchenstation.ch/das_europaische_eichhornchen.html


Wenn man nach gescheckten Eichhörnchen googlet findet man sehr schnell Angebote von Züchtern. Sie sind also real. Solche Auswüchse der Kleintierzucht sind jedoch meistens kein Forschungsfeld der ernsthaften Biologie.

Traitor
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Sa 19. Nov 2016, 22:56 - Beitrag #6

Zitat von Maglor:Ich habe schon viel schlimmeres gelesen, z.B. dein Zitat aus der englischen Wikipedia. Irgendwas sagt mir, dass diese Hochrechnungen zur Invasion der grauen Hörnchen unseriös sind.
Nein, die werden schon einen hochseriösen Zufallsgenerator geschrieben haben. Nur halt leider nicht ansatzweise genug Beobachtungsdaten und/oder auf tieferem Zusammenhangsverständnis beruhende... verdammt, wie sagt man "model constraints" auf Deutsch... Modellzwangsbedingungen...? hineingesteckt haben, um ernsthaft einen Zusammenhang mit der Realität behaupten zu können.

Feuerkopf
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So 20. Nov 2016, 09:42 - Beitrag #7

Wenn dunkles Fell einhergeht mit fettreicher Nahrung, dann erklärt sich mir auch, warum es bei uns im Innenhof inzwischen recht dunkle Hörnchen gibt. Die plündern nämlich gern die Vogelfutterstellen. Zutraulich sind die Roten übrigens auch. Wir haben eines, das herankommt, wenn ich mit der Zunge schnalze (das klingt so ähnlich wie ihr Keckern). Auf unserem nahe gelegenen Friedhof fressen sie sogar aus der Hand oder klettern Hosenbeine hoch.

Die großen Grauen kenne ich aus den USA. Das sind ziemlich dreiste Gesellen, die - anders als unsere Zwerge - gern im Herbst geschossen werden und als Fleischlieferant dienen.

Maglor
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Do 24. Nov 2016, 22:24 - Beitrag #8

Ein Zusammenhang zwischen Fellfarbe und Ernährung bzw. Lebensraum ist eine interessante Frage. Was steckt dahinter?

Wird ein dunkles Eichhörnchen wieder rothaarig, wenn man es auch Diät setzt? Werden hellrote Eichhörnchen braun, wenn sie fettreiche Nahrung erhalten?
Gibt es eine epigenetische Vererbung der Fellfarbe?
Oder handelt es sich doch um genetische Varianten mit spezifischer regionaler Verbreitung (wie bei Nebelkrähe und Rabenkrähe) und der Zusammenhang mit anderen Ernährung ist nur zufällig, weil es in Höhenlage eben einfach andere Ernährungsmöglichkeiten gibt als im Tal?

Da es offensichtlich eine Szene von Kleintierzüchtern gibt, die sogar spezielle Farbschläge des europäischen Eichhörnchens züchtet, müsste die Frage längst durch die nicht-wissenschaftliche Praxis der Hobbyzüchter beantwortet sein.
Die Tierhalterszene Europas trägt übrigens auch die Hauptschuld für die Faunenverfälschung in Europa, zumindest bei den Wirbeltieren. Grauhörnchen waren mal Heimtiere.

Ipsissimus
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Di 24. Jan 2017, 16:00 - Beitrag #9

Möglicherweise aber auch ein Einbruch der Kontingenz^^

Traitor
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Do 3. Aug 2017, 23:17 - Beitrag #10

Mittlerweile konnte ich tief im Nordwesten tatsächlich mein erstes britisches Rotes entdecken; nach derzeitiger höchstrepresentativer Statistik sind sie damit viermal seltener als Robben.

Zitat von Maglor:Ein Zusammenhang zwischen Fellfarbe und Ernährung bzw. Lebensraum ist eine interessante Frage. Was steckt dahinter?

Interessant wäre auch, ob man durch gezielte Krill-Fütterung Pinkhörnchen bekommt. Aber darauf wären geschäftstüchtige Züchter vermutlich längst gekommen, zumindest in Japan.

Maglor
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So 1. Apr 2018, 19:08 - Beitrag #11

Endlich tut die Politik etwas gegen die Invasion!

Heimatminister Horst Seehofer redet endlich Klartext zur grauen Gefahr:
Zitat von tagesschau: Seehofer-Pläne für Heimat-Fauna

Heimat brauche auch eine starke indigene Flora und Fauna, meint Seehofer. Das zeige zum Beispiel die Situation in Großbritannien, wo das heimische rote Eichhörnchen durch die eingeschleppte graue Variante weitgehend verdrängt wurde. "Das Tier steht auf der EU-Liste der unerwünschten Arten - ihm ist aber kaum noch beizukommen."

Auf der Liste ist auch der Waschbär zu finden, der im 20. Jahrhundert nach Deutschland kam. "Die Tiere brechen in Dachböden und Gartenhäuser ein, wühlen im Müll, töten sogar deutsche Haustiere - aber gegen einen deutschen Braunbären hätten sie keine Chance", glaubt Seehofer.
Gefährder observieren und ausweisen

Auch durch die vorsichtig gesagt, gemischten Erfahrungen mit der Neuansiedelung des Wolfes in einigen Teilen Deutschlands hält ihn vom seinem Vorhaben nicht ab: "Wenn man sich im Wald und Flur ordentlich verhält, dann benehmen sich auch Bär und Wolf." Wenn es Gefährder unter den neuangesiedelten Raubtieren geben sollte, müssten diese beobachtet und gegebenenfalls zurückgeschickt werden.


Eine genaue Differenzierung zwischen Problem- und Schadhörnchen bleibt uns der CSU-Oberwolf aber noch schuldig.
Gefährder sind sie jedenfalls alle. Vielleicht reicht vorläufig auch eine Fußfessel zur Überwachung aus. :crazy:


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